
NZZ am Sonntag January 23, 2005
Kein guter und kein schlechter Polizist
By Spillmann M.
Europa und die USA teilen die Sorge, dass Iran die Atombombe anstrebt. Uneinig sind sie aber, welche Strategie Teheran zum Einlenken bewegen könnte. Vorerst hilft das den Mullahs.
Das Dementi aus dem Weissen Haus war lauwarm, die Empörung in Teheran gross und Europa "besorgt", als diese Woche der Journalist Seymour M. Hersh im "New Yorker" behauptete, amerikanische Spezialkommandos seien unter Federführung des Pentagons seit Monaten heimlich damit beschäftigt, für Verteidigungsminister Rumsfeld Angriffsziele in Iran auszukundschaften. Unter dem Titel "Amerikas nächste Kriege" serviert Hersh unter Bezug auf anonyme (CIA-)Quellen dem Leser eine Mixtur aus Faktum und freier Interpretation, wobei nicht immer klar ersichtlich ist, ob nun Fakten interpretiert oder Interpretationen zu Fakten werden. Tatsache ist, dass sowohl die USA als auch Europa das iranische Atomprogramm beunruhigt. Interpretation ist vorerst, dass Washington - oder Israel - einen Militärschlag als einzigen Ausweg ansieht.
Dezentral und verbunkert
Ein solcher wäre nach Ansicht von Dan Schueftan vom Chotam Center for Middle Eastern Studies an der Universität von Haifa "sehr schwierig" auszuführen, wenn er ihn auch nicht als unmöglich bezeichnet. Schueftan, der die israelische Regierung in Sicherheitsfragen berät, nennt als Hauptschwierigkeit das fehlende Überraschungsmoment und die geographische Verstreutheit der - je nach Zählart gut zwei Dutzend - Anlagen des iranischen Atomprogramms. "Hätten wir heute eine Situation vergleichbar mit jener von 1981, als die israelische Luftwaffe den irakischen Reaktor von Osirek zerstörte, dann würde ich raten, die iranischen Anlagen anzugreifen. Aber leider präsentiert sich die Lage heute ungleich komplizierter", sagt er.
Ähnlich skeptisch bewertet die auf Sicherheitsfragen spezialisierte Organisation Globalsecurity die Ausgangslage. Nicht nur seien einzelne Anlagen möglicherweise mehrere Dutzend Meter tief im Erdreich verbunkert, sondern auch parallel ausgelegt, was es Iran erlauben würde, die Produktion nach relativ kurzer Zeit wieder aufzunehmen. Ein Militärschlag unter Einsatz von bunkerbrechender Munition sei daher nur dann erfolgversprechend, wenn die Nachrichtendienste wirklich sicher seien, dass sie den Umfang des Programms korrekt eingeschätzt und die Anlagen genau lokalisiert hätten. Nicht zuletzt vor den im Irak gemachten Erfahrungen erhielte die Entsendung von Spezialkommandos eine gewisse Plausibilität, zumal Luft- oder Satellitenaufklärung allein keinen umfassenden und gleichzeitig detaillierten Einblick in das iranische Atomprogramm ermöglichen. Spionage bedeutet aber nicht zwingend Krieg, sondern könnte auch für die Diplomatie von Nutzen sein: Wer weiss, wie nahe der Gegner am Abgrund steht, dem fällt es leichter, dessen Mut abzuschätzen, den nächsten Schritt zu wagen. Sofern Europa an den gewonnenen Erkenntnissen partizipieren und - entscheidender - bei den daraus zu ziehenden Folgerungen mitreden könnte, gebe es keinen Grund, die USA für dieses Vorgehen zu kritisieren.
Freilich, Europa und die USA sind sich in der grundsätzlichen Beurteilung des iranischen Nuklearprogramms einig - es ist gefährlich und nicht wünschenswert - , nicht aber darüber, wie es unterbunden werden soll. Während Washington (und Israel) Verhandlungen mit Teheran zum jetzigen Zeitpunkt ablehnen, weil diese auch mit Konzessionen an ein wenig vertrauenswürdiges Regime verbunden wären, setzt Europa ausschliesslich auf Gespräche. Eine Arbeitsteilung zwischen dem "lieben" (europäischen) und dem "bösen" (amerikanischen) Polizisten ist im Fall Iran nicht erkennbar; im Gegenteil: Wenn der amerikanische Vizepräsident Cheney wie am Donnerstag warnend darauf hinweist, dass Israel einen Präventivschlag ausüben könnte, sollten die Atom-Gespräche mit der EU scheitern, dann setzt das primär die Europäer unter Druck, zumal diese ihrerseits nicht müde werden zu betonen, ein militärisches Vorgehen sei absolut ausgeschlossen.
Unklare Motive
Solange im transatlantischen Gefüge keine erkennbare strategische Einigkeit darüber besteht, wie kompromisslos von Iran die Einfrierung jeglicher Anreicherungsprozesse gefordert werden soll, müssen die Machthaber in Teheran nur wenig fürchten. Die Zeit arbeitet gegen den Westen und für Iran. Gleichzeitig erhöht diese Situation paradoxerweise die Gefahr, dass es am Ende doch zu einem Militärschlag kommen könnte - weil sowohl die USA als auch Israel die Risiken eines solchen Gewalteinsatzes verglichen mit einer Atombewaffnung Irans als letztlich doch kleineres Übel betrachten. Heikel ist für alle Beteiligten, dass nicht gänzlich klar ist, ob und wenn ja warum Iran sich nuklear bewaffnen will. Der oft vertretenen These einer latent antiisraelischen Ausrichtung wird etwa von Ray Takeyh vom Council on Foreign Relations widersprochen. Nach seiner Einschätzung strebt Teheran nicht aus Furcht vor oder Aggression gegen Israel nach der Atombewaffnung, sondern zur Absicherung seiner strategischen Interessen am Persischen Golf. Aus Sicht Teherans sei zu deren Wahrung ein eigenes Atompotenzial unabdingbar. Laut Takeyh orientiert sich Iran dabei an der Entwicklung von Pakistan. Gegenüber Washington hat sich dessen "demokratisierte" Militärregierung trotz und gerade wegen der Atombewaffnung ein beachtliches Mass an politischer "Unantastbarkeit" gesichert.
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