
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung January 23, 2005
Ist Iran als nächstes dran?
Planspiele für Schläge gegen den "Gottesstaat" beschäftigen die Denkfabriken schon seit längerem
BERLIN. Bei aller Aufregung über amerikanische Spezialkommandos, die für einen möglichen Militärschlag bereits Angriffsziele in Iran auskundschaften sollen: Es dürfte ohnehin ein Bestandteil amerikanischer Sicherheitspolitik in krisenhaften Beziehungen sein, Einsatzszenarien und Ziellisten auszuarbeiten, nicht zuletzt eben mit Blick auf die atomaren Rüstungsbestrebungen Irans. Auch die Publizistik und regierungsnahe "Denkfabriken" beschäftigen sich damit.
Der Fachdienst "globalsecurity.org" etwa erörtert auf seiner Internet-Seite seit längerem die Möglichkeit von Luftschlägen gegen Iran. Demnach existieren dort etwa zwei Dutzend nukleare Herstellungsorte unterschiedlicher Bedeutung, einige mit unterirdischen Anlagen. Ein vorrangiges Angriffsziel wäre das Tausend-Megawatt-Kernkraftwerk Buschir, aber auch die mutmaßlichen Nuklearfabriken von Natanz und Arak.
Überlegungen über derlei Luftschläge auf Atomanlagen beziehen sich auf die Bombardierung des irakischen Reaktors Osirak durch israelische Kampfflugzeuge im Jahr 1980. Damals war Saddam Husseins Atomwaffenprogramm um wohl entscheidende Jahre zurückgeworfen worden. Als amerikanische Angriffswaffen kämen zunächst vor allem die Tarnkappenbomber vom Typ B-2 in Frage, die auf dem Luftwaffenstützpunkt Diego Garcia im Indischen Ozean stationiert sind, die aber auch vom amerikanischen Festland aus mit Hilfe von Luftbetankung bis in den Iran operieren könnten.
"Globalsecurity.org" weist auch auf die Reichweite der israelischen Luftwaffe hin, die inzwischen die iranischen Nuklearzentren einschlösse. Im September vergangenen Jahres gab Israel bekannt, daß es 500 bunkerbrechende Bomben von den Vereinigten Staaten erworben habe, die bis zu 1,8 Meter Stahlbeton durchschlagen können. Kurz darauf meldete Iran angeblich erfolgreich abgeschlossene Tests von strategischen Langstreckenraketen. Damit rückt auch Europa in die mögliche Reichweite iranischer Waffen. In seinem Artikel über die Spezialkommandos zitiert der Journalist Seymour Hersh den israelischen Außenminister Schalom: Die Europäer hätten lange Zeit geglaubt, Iran sei nur Israels Problem. Aber dann hätten sie gemerkt, daß die iranischen Raketen auch Europa erreichen könnten, "und dann wurden sie sehr besorgt".
"Ist der Iran als nächstes dran?" - unter dieser Überschrift berichtete die Zeitschrift "The Atlantic Monthly" im Dezember über ein "klassisches Pentagon-Kriegsplanspiel", an dem Militärs, aus dem Dienst geschiedene CIA-Fachleute und Hochschullehrer beteiligt waren. Die - kenntnisreichen, aber nicht der Regierung nahestehenden - Rollenspieler kamen zu dem Ergebnis, das iranische Atomwaffenprogramm könne durch gezielte Schläge zwar um vielleicht drei Jahre zurückgeworfen werden, es sei aber insgesamt viel weiter gediehen und auch breiter gestreut als das irakische im Jahr 1980.
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