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Frankfurter Allgemeine Zeitung December 06, 2004

Schädlich für die "moralische Autorität"

Der amerikanische Kongreß stoppt die Entwicklung von neuen Mini-Atombombe

Von Nikolas Busse

Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit in Europa hat der Kongreß jetzt eines der ehrgeizigsten und zugleich strittigsten Rüstungsvorhaben der amerikanischen Regierung zum Stillstand gebracht: das Vorhaben, spezielle nukleare Sprengköpfe zu entwickeln, die tief in der Erde vergrabene Ziele zerstören können. Das Verteidigungsministerium hatte 27,6 Millionen Dollar für den sogenannten "robusten nuklearen Erddurchdringer" (robust nuclear earth penetrator) beantragt, was ihm das Washingtoner Parlament im neuen Haushaltsgesetz aber verweigerte. Damit wird ein Forschungsprogramm gestoppt, das darauf ausgerichtet war, jenseits der nuklearen Abschreckung ein praktisches Anwendungsgebiet für Kernwaffen zu schaffen. Das Programm hatte vielerorts zur Befürchtung geführt, daß Atombomben zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg tatsächlich wieder zum Einsatz kommen könnten.

Erste Studien zu dem Projekt wurden im Sommer 1991 von Wissenschaftlern am Kernforschungslabor in Los Alamos vorgestellt, wo schon die erste Atombombe entwickelt worden war. In der Regierungszeit von Präsident Clinton wurde das Vorhaben zunächst durch eine gesetzliche Regelung aus dem Jahr 1994 beschnitten, die Forschungsarbeiten für Sprengköpfe unter fünf Kilotonnen Sprengkraft untersagte. Im Jahr 2001, unter der Präsidentschaft von George Bush, genehmigte der Kongreß dann aber Studien, um herauszufinden, ob mit Hilfe der Schockwellen von tief im Erdreich explodierenden Nuklearwaffen Bunker oder Tunnel zerstört werden könnten. Dahinter stand die Erwartung, daß die amerikanischen Streitkräfte im Zeitalter asymmetrischer Bedrohungen zunehmend gegen Terroristen oder feindlich gesinnte Regime zum Einsatz kommen würden, die zentrale militärische Einrichtungen tief in der Erde verstecken würden - Kommandozentralen, Rüstungsfabriken, Massenvernichtungswaffen.

Gegen die Entwicklung dieser Waffen, salopp auch "mini nukes" genannt, wurden zwei grundlegende Einwände erhoben. Zum einen wären wohl doch größere Bomben erforderlich. Nach einer Berechnung des Fachdienstes GlobalSecurity.org wäre eine Bombe mit einer Sprengkraft von 100 Kilotonnen nötig, um ein Ziel in 300 Meter Tiefe zu zerstören. Das wäre die zehnfache Größe der Hiroshima-Bombe. Außerdem wäre mit einigem Auswurf an radioaktivem Geröll zu rechnen. Tests in Nevada haben ergeben, daß eine 10-Kilotonnen-Bombe in einer Tiefe von mindestens 260 Metern explodieren muß, damit kein verseuchtes Material an die Oberfläche geschleudert wird. Ein Sprengkopf, der aus 12 000 Meter Höhe aus einem Flugzeug abgeworfen wird, würde aber lockeres Erdreich nur bis zu 30 Meter und Felsgestein höchstens neun Meter tief durchschlagen können. Zur Zerstörung sehr tiefer Bunker scheinen solche Waffen also schlecht geeignet, und in geringerer Tiefe drohen womöglich erhebliche Belastungen für Mensch und Umwelt.

Zum anderen wurde stets Kritik an den sicherheitspolitischen Folgen des Projekts geübt. Die amerikanische Opposition und viele europäische Regierungen halten den Bau neuer Nuklearwaffen für das falsche Signal an Staaten wie Iran oder Nordkorea, denen die Staatengemeinschaft den Erwerb von Kernwaffen untersagen will. Damit, so eine häufig vorgebrachte Argumentation, werde die nukleare Option für solche Länder sogar attraktiver: Sie könnten noch mehr versucht sein, eine eigene nukleare Abschreckung aufzubauen, um sich vor amerikanischen Präventivschlägen gegen ihre Militäreinrichtungen zu schützen. Unmut erregten die amerikanischen Pläne auch bei den 182 Mitgliedstaaten des Nichtverbreitungsvertrages, die keine Atomwaffen besitzen. Viele von ihnen erwarten im Gegenzug für ihren eigenen Verzicht eine weitere Abrüstung der Atomwaffenstaaten und nicht den Bau einer neuen Klasse von Atombomben.

Im Kongreß gaben diese Argumente letztlich den Ausschlag. Ausgerechnet ein Republikaner, der Abgeordnete Dave Hobson, machte sich die sicherheitspolitischen Bedenken zu eigen und setzte als Vorsitzender des Bewilligungs-Unterausschusses Energie- und Wasserentwicklung im Repräsentantenhaus eine Streichung der Mittel für den "Erddurchdringer" durch. Außerdem wurden 9 Millionen Dollar nicht bewilligt, die das Pentagon zur Entwicklung von Konzepten für fortgeschrittene Waffensysteme beantragt hatte, und das Geld für eine neue Fabrik zum Bau von Zündern für Atomwaffen drastisch beschnitten. Im Senat soll es mehr Neigung gegebenen haben, dem Pentagon das Geld zu geben, berichtete die "New York Times". In einer Vermittlungssitzung habe sich aber Hobsons Position durchgesetzt. Worin die bestand, hatte der Abgeordnete aus Ohio schon im August gesagt: "Das ist eine sehr provokative und offen aggressive Politik, die unsere moralische Autorität untergräbt, wenn wir verlangen, daß andere Nationen auf Nuklearwaffen verzichten sollen."


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