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Tages-Anzeiger November 25, 2004

Gefaehrliches Spiel mit dem Atomprogramm

Von Stefan Hostettler, Bruessel

Die Internationale Atomenergiebehoerde soll heute entscheiden, ob sie dem Iran Vertrauen schenkt. Doch die Gefahr einer Atommacht am Golf bleibt weiterhin bestehen.

Ich versichere allen friedliebenden Menschen auf dieser Welt, dass die iranischen Bemuehungen im Bereich der Nukleartechnologie auf die zivile Anwendung fokussiert sind und nichts anderes." Mit solchen Voten versucht Praesident Mohammed Khatami die Skeptiker regelmaessig zu beruhigen. Doch die Politik der letzten Jahre war nicht dazu angetan, das Vertrauen in die Fuehrung des Iran zu staerken.

Nach umfangreichen Kontrollen vor Ort wird heute wieder die Internationale Atomenergiebehoerde (IAEA) in Wien beurteilen muessen, ob sie trotz des Verwirrspiels der letzten Wochen dem Bekenntnis der Iraner glauben will, ihr Nuklearprogramm diene ausschliesslich der Energiegewinnung.

Erneut hat die Regierung in Teheran erst einige Tage vor dem Auslaufen der Bedenkzeit eingelenkt, um so die drohende Gefahr internationaler Sanktionen abzuwenden. "Das ist deren klassische Taktik", kommentierte ein EU-Diplomat und sprach damit das Abkommen an, auf welches sich der Golfstaat vorletztes Wochenende nach muehsamem Feilschen um jedes Wort mit den Botschaftern von Grossbritannien, Frankreich und Deutschland (EU-3) einigen konnte. Anfang dieser Woche trat nun die "vorlaeufige" Aussetzung des umstrittenen Atomprogramms in Kraft, und seither werden die Produktions- und Forschungseinrichtungen, in denen Uran angereichert werden kann, von den IAEA -Experten versiegelt. Falls sich die IAEA damit zufrieden gibt und die Iraner in den Detailgespraechen im Dezember mit der EU in eine dauerhafte Aussetzung der Urananreicherung einwilligen, koennen sie auf bessere Handelsbeziehungen sowie eine nukleare Zusammenarbeit mit Europa hoffen. Vor allem kann die radikalislamische Fuehrung des Landes darauf hoffen, weltpolitisch aufgewertet und als Regionalmacht auch gebuehrend respektiert zu werden.

Der Reiz der Bombe

Doch an diesem Punkt scheiterten die gleichen Verhandlungspartner bereits vor einem Jahr. Auch damals ging es darum, der Welt zu versichern, dass die Iraner den Prozess der Urananreicherung nur dafuer nutzen wollen, die eigenen Reaktoren mit Brennstaeben zu versorgen. Da die gleiche Technologie nicht nur Brennstoff, sondern auch nuklearen Sprengstoff verspricht, kann nur die IAEA mit ihrer Ueberwachung aller Anlagen garantieren, dass nicht etwa im Geheimen an einer Atombombe gebastelt wird.

"Wir haben festgestellt, dass der Iran kein ausgewiesenes Material fuer geheime Zwecke umgeleitet hat", erklaert der IAEA-Generaldirektor Mohammed al -Baradei in seinem heute Donnerstag praesentierten Bericht. Aber es bleibe fuer die Behoerde noch viel zu tun, damit sichergestellt werden koenne, dass es auch wirklich keine bisher unbekannten Forschungsaktivitaeten gebe. Ausschliessen kann die IAEA das nicht. Denn bis Oktober 2003, als der Iran unter dem internationalen Druck die Tore seines abgeschirmten Nuklearprogramms oeffnete, seien die Verpflichtungen aus dem Atomwaffensperrvertrag mehrfach gebrochen worden. "Seither hat der Iran Fortschritte gemacht", heisst es in Baradeis Bericht weiter. Doch man straeube sich in Teheran nach wie vor dagegen, dass die IAEA-Experten Fotos von den iranischen Anlagen sowie Tonaufnahmen der Expertentreffen ausser Landes bringen wollten. "Diese Behinderungen erschweren es der Agentur, an ihrem Hauptsitz in Wien genaue Analysen der Arbeiten durchzufuehren", klagt Baradei. Unzufrieden ist die Kontrollbehoerde zudem in zwei Punkten. Erstens betrifft dies gefundene Spuren angereicherten Urans, die in verschiedenen Anlagen entdeckt worden sind und die unter Umstaenden auf zusaetzliche, bisher nicht deklarierte Materialaufbereitungsanlagen hinweisen koennten. Die Iraner beteuern indes, diese Uranspuren haetten ihren Ursprung im Lieferland der Anlagen. Zweitens fehlen den IAEA-Inspektoren die glaubwuerdigen Nachweise, dass im Iran, wo bereits 1995 Plaene vorlagen, sieben Jahre bis 2002 zugewartet wurde, bis man begann, mit einer neuen Gaszentrifugentechnologie zur Urananreicherung zu experimentieren.

Bisher bestand der Iran immer darauf, den gesamten Brennstoffkreislauf - von der Uranmine bis zu den Brennstaeben - selbst abzuwickeln. "Wir erachten dies als unser grundsaetzliches und legitimes Recht", betont der iranische Chefunterhaendler Hassan Rohani bei jeder Gelegenheit und verweist darauf, dass dieser Wunsch mit dem Atomwaffensperrvertrag durchaus vereinbar sei.

Doch jene Aktivitaeten, die auch militaerisch genutzt werden koennten, wollen vor allem die USA dem Regime der Mullahs, das sie zur "Achse des Boesen" zaehlen, nicht zugestehen. Und die Europaeer teilen mit ihren transatlantischen Partnern die Furcht, dass Nachsicht gegenueber den Iranern auch andere Staaten wie Aegypten, Saudiarabien oder gar die Tuerkei veranlassen koennte, den Weg zur regionalen Atommacht zu beschreiten.

Teheran muesste heute zumindest die nuklearen Ambitionen seines waehrend Jahren bekaempften Nachbarn Irak nicht mehr fuerchten. "Paradox ist, dass sich das iranische Gefuehl der Unsicherheit offensichtlich intensiviert hat, obwohl sich die Sicherheitslage nach dem Sturz von Saddam Hussein und den Taliban in Afghanistan eigentlich verbessert hat", sagt der Nahostexperte Ray Takeyh. Dass aber sowohl Pakistan und vor allem der Erzfeind Israel ueber entsprechende Waffen verfuegen - und dafuer international nicht einmal in der Kritik stehen -, duerfte die nuklearen Hardliner im iranischen Regime in ihrem Ansinnen bestaerken.

Allein die Groesse des gesamten Nuklearprogramms laesst vermuten, dass sich das iranische Regime zumindest die militaerische Option nicht verbauen will. Das Argument, das erdoelreiche Land brauche die Nuklearenergie, damit es Oel gegen Devisen exportieren kann, wirft zumindest viele Fragen auf. Mit weit kleineren Investitionen koennte die Effizienz der Oelfoerderung gesteigert und somit das gleiche Ergebnis billiger erzielt werden.

Vor allem Israel sieht sich bedroht

Deshalb werden die USA heute auf eine harte IAEA-Resolution draengen, die den Gang zum Uno-Sicherheitsrat vorsieht, falls dem Iran nur die kleinsten Versaeumnisse gegenueber der IAEA nachgewiesen werden koennen. Hinweise, wonach die Iraner bis letzten Sonntag noch moeglichst viel Uranerz in das fuer die Urananreicherung benoetigte Gas Uranhexafluorid umgewandelt haben, waren keineswegs geeignet, die amerikanischen Argumente zu entkraeften. Aussenminister Colin Powell berief sich dieser Tage zudem auf Informationen aus Kreisen der iranischen Exilopposition, die auf eine bisher unbekannte Forschungsstaette hinweisen. Dort soll angeblich waffenfaehiges Uran hergestellt und an Nuklearsprengkoepfen fuer Mittelstreckenraketen gearbeitet werden, die bis nach Israel reichen koennten.

Ein frueherer Hinweis der gleichen Quelle hatte sich vor zwei Jahren als richtig erwiesen, doch der amerikanische Iran-Experte Kenneth Pollack warnte juengst davor, dass "unsere Informationen ueber iranische Massenvernichtungswaffen noch bruchstueckhafter und unsicherer sind, als dies beim Irak der Fall war".

Amerikas Neokonservative propagieren seit laengerem, dass die europaeische Diplomatie genuegend Chancen erhalten habe und nun nach militaerischen Optionen gesucht werden muesse. Offiziell ist ein gewaltsames Vorgehen - gerade auch wegen der aktuellen Schwierigkeiten im Irak - kein Thema. Zumindest aber scheinen Kraefte in der Regierung Bush einer allfaelligen israelischen Operation gegen die iranischen Nuklearanlagen Positives abgewinnen zu koennen. Bereits 1981 hatten israelische Militaerflugzeuge einen irakischen Reaktor zerstoert.

Ein in der israelischen Knesset im Juli praesentierter Sicherheitsbericht bezeichnete das iranische Nuklearprogramm als groesste Bedrohung des Landes, und Geruechten zufolge soll die israelische Luftwaffe in der Negev-Wueste bereits Aktionen ueben.

"Da verschiedene Installationen noch im Bau oder nicht aktiv sind, haetten die USA derzeit noch ein Zeitfenster, in welchem die Anlagen ohne Gefahr fuer die Umwelt zerstoert werden koennten", heisst es in einem aktuellen Bericht des regierungsnahen US-Thinktanks GlobalSecurity.org. Die Falken in Washington warnen denn auch davor, dass die Iraner darauf spekulieren koennten, dass keine militaerischen Massnahmen mehr zu befuerchten waeren, sobald sie Atomwaffen in Griffnaehe haetten. Entsprechend viel sagend kommentierte der einflussreiche US-Senator John McCain das von der EU ausgehandelte Abkommen mit den Worten: "Am Schluss werden die USA handeln muessen."

So steht fuer die Europaeer derzeit viel auf dem Spiel, da sie mit ihrem diplomatischen Engagement den USA die Moeglichkeiten ihrer "soft power" demonstrieren wollen. Entsprechend gross war vor ein paar Monaten ihre Frustration, als die Iraner ploetzlich vom ersten Abkommen nichts mehr wissen wollten und sie so dem Spott der Amerikaner preisgaben. Aus US-Sicht sind selbst regelmaessige Inspektionen durch die IAEA unzureichend. Der Behoerde mangle es an Druckmittel und den noetigen nachrichtendienstlichen Kapazitaeten, um das mutmassliche Versteckspiel der Iraner aufzudecken, klagte der fuer Waffenkontrollen zustaendige Unterstaatssekretaer im US -Aussenministerium, John Bolton.

Wirkliche Alternativvorschlaege aus Washington liegen aber keine vor, denn auch der Gang zum Uno-Sicherheitsrat, der wirtschaftliche Sanktionen gegen den Iran verhaengen koennte, duerfte am Veto Russlands scheitern. Auch IAEA-Chef Baradei warnt vor einem solchen Schritt: "Es besteht das Risiko, dass sich der Iran wie zuvor Nordkorea unter diesen Umstaenden aus dem Vertrag verabschiedet."

Ein zwingender Schulterschluss

"Es ist nur ein Anfang", gestand dieser Tage EU-Chefdiplomat Javier Solana nach der erneuten Einigung mit den Iranern ein. Nun muessten Europaeer wie Iraner schnell mit der Arbeit an einer tragfaehigen und langfristigen Loesung beginnen, damit einerseits Vertrauen in das rein zivile Nuklearprogramm gewonnen werden koenne und andrerseits auch konkrete Resultate und Anreize fuer die Iraner ersichtlich wuerden. "Das wird keineswegs einfach sein, aber wir haben nun immerhin einen ersten Schritt gemacht - und das ist sehr wichtig", uebt sich Solana in Optimismus.

Verschiedene Experten erachten eine langfristige Einigung aber nur als moeglich, wenn sich auch die USA glaubhaft in die Gespraeche einbringen. Bisher wurde in Washington auf einen solchen Schritt verzichtet, denn man erachtet die Verhandlungen mit einem Schurkenstaat ohne militaerische Druckmittel als falsche Strategie. Schliesslich sollten die Mullahs fuer ihr "schlechtes Benehmen nicht noch belohnt werden", kommentierte Unterstaatssekretaer Bolton solche Vorschlaege.

Doch aus Sicht von Alan Isenberg vom Center for International Security and Cooperation in Stanford verhindern die USA mit dieser Haltung eine Loesung, da nur eine Kombination von "europaeischem Zuckerbrot und amerikanischer Peitsche" zum Erfolg fuehren koenne. Dazu muesste die EU aber auch einen Mechanismus mit Konsequenzen und Sanktionen akzeptieren fuer den Fall, dass der Iran erneut das Abkommen in Frage stellen sollte. "Der Zugang zu internationalen Organisationen wie der WTO koennte zudem hilfreich sein, um die Kraefte einer demokratischen Reform im Iran staerken", erhofft sich Isenberg. Dies koennte eines Tages zum ersehnten Regimewechsel in Teheran fuehren - auf friedlichere und mehr Erfolg versprechende Weise als in Bagdad.

Der Iran will sich die militaerische Option zumindest nicht verbauen lassen.

Ein Blick hinter die Kulissen: Eine Gruppe von auslaendischen Diplomaten besichtigt die Nuklearanlage von Isfahan.


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