
Stuttgarter Zeitung April 22, 2004
Ein leichtes Ziel für alle Feinde des Irak
Schwierigkeiten beim Aufbau der neuen Sicherheitskräfte
Das größte Problem der irakischen Sicherheitskräfte ist ihre Verwundbarkeit. Aber auch um Moral und Kampfkraft steht es schlecht. Nun plant die Besatzungsmacht USA einen Kurswechsel.
Von Andrea Nüsse, Amman
Die großen Werbeplakate in den Straßen Bagdads oder Basras zeigen nur die eine Seite der Medaille: Eine Frau und drei Männer in blauen, braunen und khakifarbenen Uniformen werben mit zuversichtlichem Blick für die Mitarbeit in der irakischen Polizei, im Zivilen Verteidigungskorps oder der neu zu schaffenden Armee. Doch das Plakat verschweigt, was jeder im Irak weiß: Jene Iraker sind ein regelmäßiges Ziel von Terroranschlägen. So galten auch die Autobomben im britisch kontrollierten Basra den neuen Sicherheitskräften: Drei Polizeistationen und ein Trainingslager wurden teilweise zerstört, dabei kamen zahlreiche Passanten, darunter Kinder in einem Schulbus ums Leben. Die fast gleichzeitig erfolgten Explosionen legen nahe, dass es sich bei den Tätern um eine gut organisierte Terrorgruppe handelt. Der Gouverneur von Basra sah in den Anschlägen die Handschrift von Al-Qaida.
Auch wenn dies der erste große Anschlag in Basra war, ist die Taktik der Täter nicht neu: Die irakischen Sicherheitskräfte sind ein einfaches Ziel, weil sie nicht so gut ausgerüstet und gesichert sind wie die ausländischen Besatzungstruppen, unter deren Befehl sie arbeiten. Nach US-Angaben sind seit einem Jahr etwa 350 Mitglieder der irakischen Sicherheitskräfte bei Anschlägen und Überfällen getötet worden. Die Gefahr hält viele Iraker ab, sich in den neuen Diensten zu engagieren. Gleichzeitig schwächt jeder Anschlag auf irakische Sicherheitskräfte auch die USA. Denn deren Aufbau ist eine tragende Säule ihres Plans, die Lage zu stabilisieren und den Irakern mehr Macht zu übertragen.
Bisher sollen etwa 15 000 bis 20 000 Iraker im paramilitärischen Irakischen Zivilen Verteidigungskorps (ICDC) arbeiten, das aus 18 Bataillonen besteht. Sie sind für die Sicherheit von Straßen, Gebäuden, Checkpoints und allgemein für die innere Sicherheit zuständig. Etwa 60 000 Iraker haben bisher das achtwöchige Training als Polizist durchlaufen. Der Kern der neuen irakischen Armee besteht nach Angaben der Sicherheitsfirma "Global Security" heute aus etwa 2000 Mann. Das erste Bataillon, das im Oktober seine Ausbildung abschloss, hatte jedoch einen schlechten Start: Von den 700 Absolventen verließen sofort 300 Soldaten den Dienst, angeblich wegen der zu niedrigen Löhne. Der Kommandeur der 82. Airborne-Division, General Charles Swannack, kritisierte die US-Zivilverwaltung kürzlich dafür, dass die Iraker nicht besser ausgerüstet werden.
Doch in den vergangenen zwei Wochen, während der Kämpfe in Falludscha und gegen die Schiitenrebellen, haben sich noch mehr Schwächen gezeigt: Ein irakisches Armeebataillon von mehreren hundert Soldaten weigerte sich, in Falludscha an der Seite der US-Soldaten zu kämpfen. Sie kehrten einfach auf halbem Wege von Bagdad um. Auch die anfängliche Begeisterung über das Zivile Verteidigungskorps ist verflogen. Sprach der stellvertretende US-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz noch im Oktober 2003 von einer "wunderbaren Erfolgsgeschichte", so räumte der US-Oberbefehlshaber über die US-Streitkräfte im Nahen Osten, General John Abizaid, jetzt große Schwierigkeiten ein: Viele Mitglieder hätten den "Einschüchterungen" nicht widerstanden und sich aus dem Staub gemacht oder gar auf der Seite der Aufständischen gegen die US-Armee gekämpft. In Falludscha ist der Polizeichef bis heute verschwunden
Diesen Schwierigkeiten will die US-Armee mit neuen Techniken bei der Anwerbung beikommen. So sollen die Vorgeschichte und Biografien der Bewerber untersucht werden. Bisher wurde jeder Bewerber eingestellt. Auf diese Weise sollen sich auch militante Gegner der US-Besatzung eingeschlichen haben. In den Überfall auf die vier amerikanischen Angestellten einer Sicherheitsfirma in Falludscha, deren Leichen verstümmelt wurden, sollen Mitglieder des Verteidigungskorps verwickelt gewesen sein.
Außerdem denkt die US-Armee über eine längere Ausbildung nach. Dies wäre eine Abkehr von der bisherigen Politik, wo es darum ging, in kürzester Zeit möglichst viele Sicherheitskräfte einzustellen. Und noch ein Kurswechsel ist geplant: Exoffiziere der irakischen Armee sollen zurückgeholt werden. Zivilverwalter Paul Bremer hatte die Armee aufgelöst, was viele Beobachter für einen der größten Fehler der USA im Irak halten.
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