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Agence France Presse -- German June 21, 2003

Beschwörungsformeln gegen das irakische Phantom

Von Daniel Jahn

Ob Saddam Hussein lebendig ist oder tot, gilt in Washington offiziell als zweitrangige Frage. Entscheidend sei, dass er Irak nicht mehr beherrsche, lautet die seit dem Einmarsch der US-Truppen in Bagdad verkündete Botschaft. Dennoch bereitet der gestürzte irakische Machthaber der US-Regierung wieder wachsende Sorgen. Wie die "New York Times" berichtete, vermuten US-Geheimdienstler, dass Saddam Hussein eher lebendig als tot ist. Sie nehmen an, dass er sich in Irak verborgen hält - und vielleicht sogar hinter dem wachsenden Widerstand gegen die US-Besatzer steckt.

Obwohl den USA vor wenigen Tagen mit dem Privatsekretär Abid Hamid Mahmud einer der engsten Vertrauten Saddam Husseins ins Netz ging, gibt es über das Schicksal des früheren Machthabers weiter keine gesicherten Erkenntnisse. Klar sei, dass Saddam Hussein "keine Bedrohung für die Welt mehr darstellt und nicht mehr das irakische Volk unterdrückt", wiederholte Sprecher Scott McClellan am Freitag die üblichen Floskeln. Doch sie klangen schon fast wie Beschwörungsformeln, um ein Phantom zu bannen, das Unruhe nicht zuletzt unter den US-Sicherheitsplanern stiftet.

Denn laut "New York Times" liegen Geheimdienstinformationen vor, wonach Saddam Hussein und sein innerer Zirkel eine neue Gefolgschaft zu rekrutieren suchen. Dies nährt Spekulationen, dass der frühere Machthaber vielleicht sogar an der Organisation des Guerillakampfes beteiligt sein könnte. "Der Widerstand dieser Leute wächst, sie machen weiter Ärger, und man muss sich fragen, was sie motiviert", zitierte die Zeitung einen Verteidigungsexperten der US-Regierung. Zwei Gruppen namens "Nationale Fedajin-Front" und "Brigaden des irakischen Widerstands", die sich in den vergangenen Tagen zu Anschlägen auf die US-Armee bekannten, distanzierten sich allerdings von Saddam Hussein.

Doch selbst wenn die Spekulationen ins Leere zielen und Saddam Hussein tot sein sollte - schon die Ungewissheit über seine Person ist ein Risikofaktor für die Besatzungstruppen. Sie trägt dazu bei, alte Loyalitäten zu erhalten und neuen Schrecken zu säen. Viele Iraker würden sich der Besatzungsmacht widersetzen, solange sie glaubten, dass Saddam Hussein lebt, sagt John Pike von der auf Sicherheitsfragen spezialisierten Denkfabrik globalsecurity.org. Und indem sie mit der Wiederkehr des Herrschers drohten, hätten Saddam-Getreue ein Druckmittel gegen die Bevölkerung in den Händen.

Seit US-Präsident George W. Bush am 1. Mai das Ende der größeren Kampfhandlungen verkündete, sind laut Pentagon 53 US-Soldaten in Irak getötet worden, davon 16 bei Angriffen, die übrigen bei Unfällen. Die Zahlen sind noch nicht so hoch, dass sie in der US-Öffentlichkeit Alarm auslösen. Verteidigungsminister Donald Rumsfeld versuchte das Ausmaß des Widerstands zu relativieren, indem er eine Parallele zur Kriminalitätsrate in der US-Hauptstadt zog. Auch vertrat er die Ansicht, dass die Angriffe nicht auf nationaler oder regionaler Ebene koordiniert seien, sondern von unverbundenen Zellen aus "zehn, zwölf, 15, 20 Personen oder mehr" ausgeführt würden.

Dennoch machen die Guerillaangriffe deutlich, dass der Krieg noch nicht richtig zu Ende ist. Im Kongress gibt es deshalb bereits Forderungen, die derzeit 150.000 Soldaten starke US-Besatzungstruppe aufzustocken. Die Zahl der feindlichen Kräfte sei "beträchtlich", resümierte der republikanische Senator Chuck Hagel. "Und ich glaube nicht, dass wir genügend Leute dort haben." Manche Experten sagen, dass mehr noch als die bisher vergebliche Suche nach den Massenvernichtungswaffen eine ständig steigende Zahl toter US-Soldaten den Rückhalt für Bush und den Irakeinsatz bröckeln lassen könnte. Der demokratische Abgeordnete Neil Abercrombie fühlte sich bereits an den Vietnamkrieg erinnert.

Ein Rückzug der US-Truppen aus Irak erscheint auf absehbare Zeit völlig undenkbar. Zu sehr hat Bush sein politisches Schicksal mit dem Erfolg in Irak verknüpft. Dazu gehört der zweifelsfreie Sieg über Saddam Hussein. Der Krieg müsse beendet und "Saddam & Söhne" herbeigeschafft werden - und zwar "tot oder tot", forderte denn auch der Kolumnist Thomas Friedman in der "New York Times".


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