300 N. Washington St.
Suite B-100
Alexandria, VA 22314
info@globalsecurity.org

GlobalSecurity.org In the News




NetZeitung.de May 21, 2003

Das Pentagon plant die Matrix

Das Pentagon möchte mehr darüber erfahren, wie Menschen ihre Umwelt erleben und was sie darin tun. Ein System namens LifeLog soll dazu die Daten eines menschlichen Lebens erfassen - alle.

Die Matrix ist womöglich bald keine Fiktion mehr. Das Pentagon arbeitet daran, sie zur Realität werden zu lassen. Ein System namens LifeLog soll künftig alles, was sein Träger sieht, hört, denkt, redet, schreibt und erlebt aufzeichnen und in eine gigantische Datenbank einspeisen. Ein vollständiges Profil des betroffenen Menschen soll so entstehen, ein absolutes Gedächtnis ohne die Chance, etwas zu vergessen.

Ausgedacht hat sich LifeLog die Darpa (Defence Advanced Research Projects Agency), die Entwicklungsabteilung des Pentagon. Unter der Nummer BAA 03-30 läuft bereits die Ausschreibung.

In den Worten der Darpa wird das Projekt so beschrieben: «... die Entwicklung eines Ontologie-basierten (Sub)Systems, welches den Strom von Erfahrungen einer Person in und die Interaktionen der Person mit der Welt einfängt, speichert und zugänglich macht, um ein breites Spektrum von Teilhabern/Mitarbeitern und anderen System-Fähigkeiten zu unterstützen. Ziel des 'LifeLog'-Konzeptes ist es, die 'Fäden' im Leben eines Individuums im Zusammenhang mit Ereignissen, Zuständen und Beziehungen aufzuspüren.»

Daten? Alle!

Bei der Frage, welche Daten dazu erfasst werden sollen, lautet die Antwort der Darpa schlicht: alle. Die Erfassung und Speicherung soll «an jedem Ort/zu jeder Zeit» möglich sein, sie soll alle physikalischen Parameter umfassen, die registriert werden können - alles, was Augen sehen, Ohren hören oder sogar Finger fühlen.

Dazu soll das System jede mögliche Interaktion speichern, Gespräche, Briefe, E-Mails, Telefonate, Faxe, gelesene Zeitungsartikel oder Werbeschilder. Aufenthaltsorte und Bewegungen des Trägers sind ebenso von Interesse, wie der körperliche Zustand: Herzschlag, Blutdruck, Adrenalin-Spiegel. Das alles soll digital gespeichert und Nutzern über eine noch zu entwickelnde Schnittstelle zugänglich gemacht werden.

Kein Vergessen mehr möglich

Die menschliche Erlebniswelt soll also nicht nur aufgezeichnet, sondern Schritt für Schritt durchforscht und möglicherweise auch simuliert werden. Jeder, der Zugriff auf die Daten hat, könnte nacherleben, was der Träger sah oder fühlte. Die Simulation könnte letztlich denselben Realitätsgrad erreichen, wie die «richtige Welt», die der LifeLog-Träger erlebt.

Die Träger von LifeLog - es wird nicht ausgeführt, wie und warum sich einzelne Personen das System am und im Körper installieren lassen sollten - bekämen dafür eine Art Tagebuch, eine vollständige Kopie ihres Gedächtnisses. Die Nutzer hätten die Chance, aus der Summe der Erfahrungen der Vergangenheit ihr Verhalten in der Zukunft vorherzusagen. Und: Es entstünde die Möglichkeit, sie vollständig zu überwachen.

Auch wenn menschliches Verhalten irrational ist oder scheint: Aus so umfangreichen Daten lassen sich voraussichtlich Muster oder die eine oder andere nicht-bewusste Verhaltensweise vorhersehen.

Laut «Wired» ist LifeLog eines jener Darpa-Projekte, deren Ergebnis völlig offen ist - ein «Blue Sky Project». Angelegt ist es auf erst einmal 18 Monate, mit der Option es um 24 Monate zu verlängern. Zurzeit werden Vorschläge der Industrie gesammelt, wie die einzelnen Forderungen umgesetzt werden könnten. In der IT-Branche soll das Interesse groß sein.

Totale Überwachung

Für Kritiker ist das System nur eine Fortsetzung bereits bekannter Überwachungs-Projekte wie dem Total Information Awareness Programm (TIA). «LifeLog hat das Potenzial, so etwas wie TIA hoch drei zu werden», zitiert das Magazin «Wired» Steven Aftergood, einen Verteidigungsanalysten der Federation of American Scientists. «Je mehr die individuellen Verhaltensmuster eines Individuums - 'Routinen, Beziehungen und Gewohnheiten' - in einer digitalen Form wiedergegeben werden können, desto leichter wird es sein, zwischen verschiedenen Individuen zu unterscheiden, oder eines zu überwachen.»

Der Chef von Globalsecurity.org, John Pike, sieht das ähnlich. «Wired» zitiert ihn mit den Worten: «Es sieht wie ein Auswuchs von TIA und anderen Überwachungsprogrammen des Ministeriums für Innere Sicherheit aus.» Pike findet auch die gedachten Anwendungen «schwer zu glauben» und meint vor allem diese:

Anwendungen

«Die Technologie würde es der Armee erlauben, computergestützte Helfer für Soldaten und Kommandeure zu entwickeln, die viel effektiver sein könnten, da sie leichten Zugriff auf die Erfahrungen des Nutzers haben», so Darpa-Sprecherin Jan Walker in einer E-Mail an «Wired». Viel effizienter könnten diese Trainingssysteme werden, wenn sich Computer merken, wie jeder Student mit dem Trainer umging.

Kommentatoren in Weblogs können dem Programm mit einiger Ironie auch etwas Positives abgewinnen: «Wenn es aus meinem Leben jedes Muster extrahieren und mir sagen kann, was ich wirklich getan habe, dass wäre wirklich cool ... », schreibt zum Beispiel ein Forscher der Universität von Colorado. «Verdammt, wenn es mir sagen würde, wie ich meinen Schreibtisch aufräumen kann, das wäre schon genug.» (nz)


Copyright © 2003, NZ Netzeitung GmbH