
Der Spiegel April 07, 2003
Selbstzensur im Orbit
Die Spione im All sehen weiterhin alles. Doch sensible Satellitenaufnahmen sind nur für Geheimdienste und Regierungen bestimmt
By Jaeger, Ulrich; Mascolo, Georg
Ruß schwärzt die einstmals hellen Dächer des gigantischen Gebäudes, Einschlagkrater klaffen zwischen den Kuppeln des Palastes. Renovierung zwecklos, Saddam Husseins Residenz im Herzen Bagdads scheint von Lenkwaffen so schwer getroffen, dass nur noch die Abrissbirne bleibt.
Was Waffen satellitengelenkt zerstören, lichten Satelliten der US-Unternehmen Space Imaging und DigitalGlobe ab: den demolierten Palast des Despoten, Bombeneinschläge in der Metropole, zertrümmerte Hangars auf dem Tadschi-Militärflughafen nördlich von Bagdad. Die Bilder bieten so ziemlich das Beste, was kommerzielle Fotoaufklärung zurzeit leisten kann.
Ob Parkbank oder Graben, Bushaltestelle oder Busch - was größer als die Arbeitsfläche eines Küchenherds ist, bilden die Satelliten "Ikonos" (Space Imaging) und "QuickBird" (DigitalGlobe) ab. Doch nicht alles, was die elektronischen Augen der derzeit besten käuflichen Fotospäher registrieren, wird ins Angebot genommen.
"Wir sind eine US-Firma", zeigt DigitalGlobe-Sprecher Chuck Herring die Grenzen auf, "und werden daher keine Bilder von US-Truppenformationen oder Panzerstellungen freigeben." Versteht sich, dass auch Konkurrent Space Imaging die Regeln kennt: "Aufnahmen, die die nationale Sicherheit der USA berühren könnten", so Firmensprecher Gary Napier, "sind tabu."
Tabu ist für die Internationale der orbitalen Bildverkäufer derzeit alles, was britische und US-Truppen treiben. Die französische Firma Spot Image, sonst offen für alle Kundenwünsche, zeigt keine Bilder, die "Koalitionstruppen in der Kriegsregion gefährden könnten". Gleiches gilt für ImageSat aus Tel Aviv, das seine Klientel schon in Friedenszeiten "sehr sorgsam" auswählt. "Njet" auch aus Moskau, es gebe keine Bilder aus dem Irak, die "nach dem Kriegsbeginn aufgenommen wurden".
Ende 2001, beim Krieg in Afghanistan, hatte die US-Regierung noch Millionen Dollar gezahlt, um die Bilder der US-Firmen vom Markt zu nehmen. Diesmal scheint die berüchtigte "Scheckbuch-Kontrolle" nicht nötig. Teils aus Überzeugung, teils aus Sorge vor amerikanischen Sanktionen übt sich die Branche in Selbstzensur. So behalten die US-Militärs die Informationshoheit über die Medien: Was nützte es auch sonst, "eingebettete" Journalisten am Boden zu reglementieren, wenn der große Überblick aus dem All alles über Tempo und Taktik verrät?
Nur für Nachrichtendienste und Regierungen gilt die Bildersperre nicht: Die Bundesregierung etwa, obwohl so knauserig, dass sie bisher nicht einmal Anteilseigner an einem Himmelsspion ist, muss auf Schnappschüsse rund ums irakische Frontgeschehen dennoch nicht verzichten. Der Bundesnachrichtendienst, traditionell ein guter Kunde bei Satellitenbetreibern, wird weiter beliefert. In Pullach sitzen professionelle Bildauswerter und beobachten das Kampfgeschehen. Wie schon vor dem Krieg dürfen die Geheimdienstler ab und an auch Bilder der Amerikaner sehen.
Und die verfügen unter der Leitung des National Reconnaissance Office (NRO) über ein Aufklärungspotenzial, das weltweit ohne Beispiel ist. Sechs Satelliten bilden den Kern einer Himmelswacht, die US-Militärs als "ultimativer Feldherrenhügel" gilt: Drei zählen zur Flotte der "Advanced Keyholes" (Advanced KH-11), drei zur Gattung, die einst "Lacrosse", heute "Onyx" gerufen wird.
Der scharfäugige Sechserpack umkreist die Erde auf polaren Umlaufbahnen. Alle zwei bis drei Stunden steht einer der Späher bereit, das Geschehen an den Fronten zu dokumentieren. Die so gewonnenen Bilder werden über Kommunikationssatelliten an die NRO-Zentrale übermittelt und praktisch in Echtzeit dem Generalstab und dem US-Geheimdienst CIA zur Verfügung gestellt.
Groß wie ein Schulbus lugt der modernisierte ("advanced") Schlüsselloch-Späher ("Keyhole") KH-11 aus Höhen zwischen etwa 300 und 1000 Kilometern sowohl im Bereich des sichtbaren Lichts als auch der Wärmestrahlung (Infrarot). Ihm entgeht im Infrarotspektrum nicht einmal das Grillfeuer von Laubenpiepern. Bei Tageslicht erfassen seine optischen Sensoren in einem Streifen von etwa 320 Kilometer Breite noch jeden Gegenstand von der Größe einer Untertasse.
Wo die Optik der gigantischen KH-11-Digitalkameras versagt, springt Onyx ein: Der Halbedelstein kann Ziele auch durch Wolken und Staub hindurch beobachten. Da der Satellit die Radiowellen, deren Echos er misst, selbst abstrahlt, gleicht er einer gewaltigen Blitzlichtkamera, die immer fotografieren kann. Ob Nacht oder Tag, Onyx zaubert Radarbilder, die den besten kommerziellen Satellitenfotos entsprechen.
Und die liefert zurzeit QuickBird von DigitalGlobe. Bei höchster Auflösung kann der schnelle Vogel Gegenstände ausmachen, die gerade mal 61 Zentimeter groß sind. Nur hat die Schärfe ihren Preis: Diese Aufnahmen verengen die Optik auf ein Quadrat von etwa 11 Kilometer Kantenlänge. Konkurrent Spot Image hat bei seinem jüngsten Satelliten, "Spot 5", bewusst auf Trennschärfe verzichtet und begnügt sich mit 2,5 Meter Auflösung. Damit kann immerhin ein Rechteck von 60 Kilometer Seitenlänge erfasst werden.
Dennoch taugen die kommerziellen Späher, die wie ihre Spionage-Schwestern auf Pol-Umlaufbahnen kreisen, nur bedingt zur Frontberichterstattung. QuickBird etwa fliegt nur alle drei Tage übers Kriegsgebiet. Ein weiterer Tag ist nötig, die Daten über Relaystationen in die Zentrale bei Denver zu übermitteln und aus ihnen mit Computerhilfe Bilder zu erstellen. So vergehen bis zu vier Tage - da schlagen Panzer und Truppen längst andernorts Schlachten.
Auch Spot Image ist, trotz dreier Satelliten, von denen einer täglich den Irak überfliegt, nicht schneller. Schon die Programmierung der Satelliten auf einen bestimmten Zielraum, so Firmensprecher Bertrand Saint Guilhem, könne "Tage beanspruchen". Weitere Stunden vergehen, um aus Digitalwerten Bilder zu formen. Vorausgesetzt, der Blick auf die Front war nicht durch Wolken, Dunst oder Staub verstellt.
Die Stunde der kommerziellen Späher, glaubt der US-Satellitenexperte John Pike, schlage erst nach der Schlacht. Dann, wenn Vergleichsaufnahmen zeigen, welche Schäden die Waffen der Koalition wirklich angerichtet haben.
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