
Neue Zuercher Zeitung February 25, 2003
Ungebremster Aufmarsch der Amerikaner in der Golfregion
By Lezzi B.
Eingliederung der 101. Luftlandedivision in ein allfaelliges Angriffsdispositiv
Zurzeit befinden sich rund 150000 Soldaten im Kommandobereich des US Central Command. Laufend wird schweres Material in die Golfregion verschoben. In Marsch gesetzt wurde ebenfalls die 101. Luftlandedivision, der eine operative Schluesselrolle zufallen duerfte und die ihre Einsatzbereitschaft Mitte Maerz erstellt haben koennte.
Lz. Der personelle und materielle Aufbau des amerikanisch-britischen Angriffsdispositivs fuer einen allfaelligen Krieg gegen den Irak ist in vollem Gang. Bei einer Beurteilung der in der Golfregion verfuegbaren Kraefte ist insofern Vorsicht am Platz, als manche Grossverbaende (Divisionen und Brigaden), deren Signaturen zwar bereits in Lagekarten von Zeitungen und Zeitschriften aufgezeichnet sind, erst mit Material oder noch wenigen Truppenteilen in den vorgesehenen Einsatzraeumen praesent sind. Denn fuer die Verschiebung von schwerem Kriegsgeraet, Munition und weiteren logistischen Guetern werden sehr grosse Transportkapazitaeten benoetigt, wie dies aus dem Golfkrieg von 1991 bekannt ist. Fuer die recht zeitintensive Verschiebung einer schweren mechanisierten Division des amerikanischen Heeres werden neben entsprechenden Laderaeumen zur See mehrere hundert Fluege gebraucht. Dies ist uebrigens Grund fuer das zurzeit laufende Projekt der Interim Brigade Combat Teams, die mit leichteren Waffen-Plattformen eine schweren Verbaenden aehnliche Feuerwirkung entfalten sollen.
Eine zahlenmaessige Analyse der im Verantwortungsbereich des US Central Command verfuegbaren Truppen kann sich nur zu einem kleinen Teil auf offizielle und deswegen oft sehr rudimentaere amerikanische Verlautbarungen stuetzen. Wesentliche Angaben liefern unter anderem private Nachrichten- oder Informationsdienste, die in minuzioeser Kleinarbeit Pressemitteilungen oder weitere Quellen auswerten.* Aber auch solche Institutionen weisen ehrlicherweise darauf hin, dass ihre Situationsberichte nur einen Teilbereich der tatsaechlich vorhandenen Kraefte erfassen.
Amerikanisches Schwergewicht in Kuwait
Gegenwaertig befinden sich im Kommandobereich des Central Command, das General Tommy Franks befehligt, rund 150000 amerikanische Soldaten. In diesem Potenzial sind die in der Afghanistan-Operation eingesetzten rund 10000 Truppenangehoerigen der US-Streitkraefte mit enthalten. Man rechnet damit, dass diese Zahl bis Ende Februar auf rund 180000 Soldaten anwachsen duerfte. Was die Landstreitkraefte betrifft, liegt das Schwergewicht in Kuwait, wo einige bereits bestehende Militaercamps erweitert worden sind. Neben Fuehrungseinrichtungen fuer den Befehlshaber der Landstreitkraefte des Central Command und neuerdings auch fuer das V. Korps steht die rund 17000 Soldaten starke 3. Infanteriedivision mit allen ihren drei Brigaden und den dazugehoerigen Unterstuetzungsverbaenden bereit. Dazu kommen mit Kampf- und Transporthelikoptern ausgeruestete Heeresflieger-Formationen sowie Patriot-Luftabwehrraketen, Einheiten der Special Operations Forces, der Militaerpolizei und des militaerischen Nachrichtendienstes.
Zurzeit sind die 4. Infanteriedivision, Teile der 82. Luftlandedivision und weitere Kampfverbaende im Begriff, sich in die Golfregion zu verschieben. Am 6. Februar wurde zudem die 101. Luftlandedivision in Marsch gesetzt. Dieser mit Kampf- und Transporthelikoptern reichlich dotierten Heereseinheit duerfte - wie dies bereits 1991 der Fall war - eine Schluesselrolle in einer Angriffsoperation zukommen. Man rechnet damit, dass diese Heereseinheit ihre Einsatzbereitschaft Mitte Maerz erstellt haben wird. Schliesslich wurden die 1. Infanterie-, die 1. Kavallerie- und die 1. Panzerdivision sowie Teile der 10. Gebirgsdivision in erhoehte Alarmbereitschaft versetzt.
Unsicherheit herrscht gegenwaertig noch ueber die Einsatzraeume der 1. und der 4. Infanteriedivision. Gemaess vorliegenden Angaben sind diese beiden Grossverbaende fuer Operationen aus der Tuerkei in den Nordirak vorgesehen. Das tuerkische Einverstaendnis zur Dislozierung ist zurzeit allerdings noch haengig. Die USA und die Tuerkei sollen sich zwar in groben Zuegen auf die Stationierung amerikanischer Verbaende geeinigt haben. Ueber ein entsprechendes Abkommen muss aber noch das tuerkische Parlament befinden. Beobachter gehen davon aus, dass gegenwaertig rund 500 M-1-Kampfpanzer unterschiedlicher Konfiguration und ueber 600 M-2-Schuetzenpanzer sowie Tausende von weiteren Raupen- und Pneufahrzeugen im Operationsraum bereitstehen. Dazu kommen Panzerhaubitzen vom Kaliber 15,5 cm und Mehrfachraketenwerfer MLRS. In Kuwait stehen ueberdies Verbaende des US Marine Corps in der Staerke von etwa 20000 Soldaten, die zusammen mit zusaetzlichen, sich gegenwaertig verschiebenden Verbaenden der Marineinfanterie eine fuer die integrierte Kampffuehrung befaehigten Marine Expeditionary Force bilden werden.
Grossbritannien beteiligt sich mit der 1. Panzerdivision, der 16. Luftlandedivision und einer Logistikbrigade sowie Einheiten der Royal Marines an den Kriegsvorbereitungen der USA. Gegenwaertig befinden sich erst Teile dieser Verbaende in Kuwait. Die Angehoerigen der 7. Panzerbrigade der britischen Division werden von Deutschland aus erst in den Einsatzraum verlegt, wenn das entsprechende Material, das Anfang Februar verschifft wurde, am Bestimmungsort eingetroffen ist. Schliesslich stellt auch Australien Truppen, vorab Spezialkraefte, zur Verfuegung.
Flugzeuge fuer Kampf und Unterstuetzung
Die neuen Konzepte der amerikanischen Luftstreitkraefte gemaess den Prinzipien der Aerospace Expeditionary Forces erlauben die rasche Bildung von lagegerecht gegliederten Einsatzverbaenden, die sich auf verschiedenen Basen - auch auf solchen, die sich nicht in unmittelbarer Naehe des Einsatzraumes befinden - und auf Flugzeugtraegern bereithalten. Eine ganze Reihe von Geschwadern und Staffeln ist in eine entsprechende Bereitschaft versetzt worden. Auf Diego Garcia und in Oman stehen B-52- und B-1-Bomber bereit. In Kuwait sollen gesamthaft 80 F-15-, F-16- und F-117-Kampfflugzeuge stationiert sein. Dazu kommen 50 F-15-, F-16- und A-10-Kampfflugzeuge auf der tuerkischen Basis von Incirlik.
Im Uebrigen stehen Tankflugzeuge in Bahrain und in Katar zur Verfuegung. Befehle zur Verschiebung in die Golfregion haben unter anderem auch Verbaende erhalten, welche mit Predator-Drohnen und Joint-Stars-Flugzeugen ausgeruestet sind. Das Bodenaufklaerungssystem Joint Stars ist dank seiner hochtechnologischen Elektronik in der Lage, Truppenbewegungen in einem weiten Kreis festzustellen und entsprechende Daten an Jagdbomber oder Bodentruppen zu uebermitteln. Gesamthaft duerften gegenwaertig etwa 450 bis 500 amerikanische und britische Flugzeuge fuer eine Irak-Operation bereitstehen.
Entscheidende Traeger-Kampfgruppen
Eine entscheidende Rolle werden im Kriegsfall Flugzeugtraeger-Kampfgruppen spielen. Jede besteht in der Regel aus dem eigentlichen Traeger und dem an Bord stationierten Marineflieger-Geschwader (mit etwa 70 Flugzeugen), 1 bis 2 Kreuzern, 3 bis 4 Zerstoerern und Fregatten, 2 Unterseebooten und 1 bis 2 Versorgungsschiffen. Kreuzer, Zerstoerer und U-Boote koennen Marschflugkoerper vom Typ Tomahawk abzufeuern.
Zurzeit befinden sich die Traegergruppen "Constellation" und "Abraham Lincoln" im Arabischen Meer/Persischen Golf. Im Arabischen Meer steht ebenfalls ein um den Flugzeugtraeger "Ark Royal" gebildeter britischer Flottenverband. Die Kampfgruppe "Harry S. Truman" kreuzt im Mittelmeer; sie koennte gegebenenfalls aber rasch ins Rote Meer verschoben werden. Bereits 1991 operierten amerikanische Kriegsschiffe in diesen Gewaessern. Die Flugzeugtraeger-Kampfgruppe "Theodore Roosevelt", die zu Beginn dieses Monats Norfolk verlassen hat, ist nun ebenfalls im Mittelmeer eingetroffen. Unklar ist augenblicklich, welche Aufgabe die Traegergruppe "Kitty Hawk" erfuellen soll. Urspruenglich fuer einen Einsatz im Raum der koreanischen Halbinsel vorgesehen, soll sie sich jetzt auf dem Weg in das Arabische Meer befinden. Ebenfalls nicht klar ist die Rolle der "Nimitz", die Ende Januar ihre Tests (Computex und JTFEX) abgeschlossen hat und fuer eine Verschiebung in die Golfregion in Betracht kaeme.
Experten gehen davon aus, dass Mitte Maerz 4 bis 6 Traeger-Kampfgruppen (je nach Abloesungsrhythmus) mit den entsprechenden Begleitschiffen zur Verfuegung stehen koennten. Sollten die USA die Moeglichkeit erhalten, im Rahmen ihrer Operation auch einen Angriff aus der Tuerkei zu fuehren - fuer gepanzerte Verbaende eine sehr schwierige Operation - , koennten die Traeger-Kampfgruppen "Harry S. Truman" und "Theodore Roosevelt" diesen sehr wohl aus Positionen im oestlichen Mittelmeer unterstuetzen. Mitte Maerz duerfte dann auch das Dispositiv fuer die Ausloesung von Bodenoperationen vollstaendig bereit sein. Dafuer werden rund 6 Divisionen zur Verfuegung stehen. Gemaess dem derzeitigen Informationsstand ist damit zu rechnen, dass ein mit Panzerkraeften vorgetragener Hauptstoss aus Kuwait erfolgen wird. Luftlandeverbaende duerften wie bereits im Golfkrieg von 1991 fuer Operationen zur Inbesitznahme von Schluesselraeumen (u. a. Erdoelfelder) und zur Bildung von vorgeschobenen Operationsbasen eingesetzt werden.
Auch wenn die modernen Aufklaerungs-, Kommunikations- und Fuehrungssysteme, die in den letzten Jahren eingefuehrt worden sind, umfassendere Lagebilder auf allen Kommandostufen und eine bessere Vernetzung der Fuehrungsstrukturen ermoeglichen, duerften die Gefechte der schweren Kampfverbaende praktisch nach "konventionellem" Muster ablaufen. Denn die fuer neue Einsatzverfahren in der Tiefe der gegnerischen Dispositive konzipierten Interim Brigade Combat Teams duerften, wenn ueberhaupt, nur punktuell eingesetzt werden.
Vermeidung eines Abnuetzungskampfs
Schon seit laengerem setzen sich die Amerikaner zudem mit der Frage auseinander, wie sich wohl ein Kampf um Bagdad als Gravitationszentrum des irakischen Regimes abspielen koennte. Vor allem das US Marine Corps, dessen Spezialisten auch fuer die Verfassung von entsprechenden Handbuechern auf der obersten Fuehrungsebene beigezogen wurden, hat die Probleme des Kampfes in ueberbautem Gebiet untersucht. Vermeiden moechte man unter allen Umstaenden einen Abnuetzungskampf von Haus zu Haus. Dank moderner Technologie wie Drohnen und dem Einsatz von Kampfhelikoptern geht man davon aus, Widerstandszentren rasch umgehen oder isolieren zu koennen. Gleichzeitig wird aber darauf hingewiesen, dass die sehr raschen Lage- und Terrainveraenderungen beim Kampf in Stadtagglomerationen hoechste Ansprueche an die Fuehrung stellen.
Ob schliesslich Konzepte zur Abriegelung der Hauptstadt mit dem geplanten Kraefteansatz ueberhaupt tauglich sind, bleibt offen. Die Amerikaner koennten eher dahin tendieren, mit einem entscheidenden Schlag die irakischen Streitkraefte und das staatliche System derart zu desorganisieren, dass ein nachhaltiger Widerstand in Bagdad selber gar nicht mehr zum Tragen kaeme.
*Fuer die Darstellung von Kraefteverhaeltnissen im Golf sind die folgenden Informationsdienste hilfreich:
www.iiss.org/iraq
www.globalsecurity.org
http://www.cdi.org/
http://www.us-iraqwar.com/
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