
Agence France Presse December 17, 2002
Saddams Liste - Bericht aus Bagdad enthuellt westliche Ruestungshilfen - USA lieferten Giftstoffe und Krankheitserreger
Von Daniel Jahn
Dass der 12.000-seitige Ruestungsbericht, den Irak an die UNO uebergeben hat, Hinweise auf die Existenz von Massenvernichtungswaffen liefert, ist fraglich. Sicher ist jedoch, dass Bagdad Informationen geliefert hat, die fuer westliche Regierungen aeusserst heikel sind. Denn in aller Ausfuehrlichkeit hat Saddam Hussein auflisten lassen, aus welchen Laendern er seit den 70er Jahren Hilfen fuer seine Ruestungsindustrie bekommen hat. Wie die Berliner "tageszeitung" am Mittwoch berichtete, stehen dabei Deutschland und die USA an vorderster Stelle.
Laut "taz" sollen 80 deutsche Firmen an der Aufruestung Iraks beteiligt gewesen sein, so viele wie in keinem anderen Land. An zweiter Stelle liegen die USA mit 24 Firmen, wobei allerdings massive Regierungshilfe aus Washington hinzu kam. Dass der irakische Machthaber Saddam Hussein in der Vergangenheit vom Westen aufgeruestet wurde, ist keine Neuigkeit. Viele Informationen ueber diese teilweise illegalen Lieferungen waren jedoch unter Verschluss gehalten worden. Bagdad liefert nun die erste detaillierte Uebersicht.
Besonders unangenehm duerfte der Bericht fuer die US-Regierung sein. Denn er belegt, dass der heutige Feind frueher ein Freund war. Als Saddam Hussein in den 80er Jahren Krieg gegen Iran fuehrte, griff ihm die US-Regierung kraeftig unter die Arme; auch Material fuer Massenvernichtungswaffen wurde nach Irak geliefert. Der Senator Robert Byrd stellte deshalb bereits vor einer Weile mit Blick auf den moeglichen Krieg gegen Irak die ketzerische Frage, ob die USA selbst "das Monster geschaffen haben, das sie vernichten wollen".
In seinen Brandreden gegen Saddam Hussein hebt US-Praesident George W. Bush hervor, dass der irakische Praesident in der Vergangenheit nicht davor zurueckscheute, chemische Waffen gegen Iran und die eigene Bevoelkerung einzusetzen. In den 80er Jahren waren Giftgas-Angriffe der irakischen Armee auf die iranischen Truppen sowie die kurdische Bevoelkerung in Nordirak fuer Washington jedoch keineswegs ein Anlass, den irakischen Herrscher fallen zu lassen.
Besorgt waren der damalige US-Praesident Ronald Reagan und seine Berater vor allem ueber die anti-westliche Revolutionsregierung in Iran. Die Furcht war, dass die iranischen Truppen die radikal-islamische Revolution in die oelproduzierenden Staaten am Persischen Golf exportieren wuerden. Eine irakische Niederlage musste deshalb dringend verhindert werden - mit welchen Methoden, war zweitrangig. Das Pentagon sei vom irakischen Giftgaseinsatz "nicht so entsetzt" gewesen, zitierte die "New York Times" einen Veteran des US-Militaergeheimdienstes DIA. "Es war lediglich eine andere Methode, Menschen zu toeten - ob mit einer Kugel oder Phosgen, machte keinen Unterschied".
Bereits 1983 lieferten die USA 72 "Bell-" und "Hughes"-Hubschrauber nach Irak - "fuer zivile Zwecke". Ein Teil dieser Hubschrauber soll gleichwohl fuer den Giftgas-Angriff auf die kurdische Stadt Halabdscha im Maerz 1988 eingesetzt worden sein, bei dem 5000 Menschen getoetet wurden. Aus offiziellen US-Dokumenten geht zudem hervor, dass zwischen 1985 und 1989 groessere Mengen Giftstoffe, Krankheitserreger und andere gefaehrliche Materialien legal aus den USA nach Irak exportiert wurden, die sich fuer die Produktion von biologischen und chemischen Waffen eigneten. Zu den gelieferten Stoffen gehoerten Botulinum-Gift, Anthrax-Sporen, e.Coli-Bakerien und Westnil-Viren.
Der Militaerexperte John Pike von der Denkfabrik globalsecurity.org hebt zwar hervor, dass die von den UN-Inspektoren nach dem ersten US-Krieg gegen Irak entdeckten Materialen fuer B- und C-Waffenprogramme weit umfangreicher gewesen seien als die US-Lieferungen der 80er Jahre. Gleichwohl sieht er die USA "von der Geschichte in die Falle gelockt". Auch Senator Byrd stellt die Frage, ob die Vereinigten Staaten jetzt "ernten, was wir gesaet haben".
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