
Die Zeit 14.11.02
Der Bundestag verlängert den Antiterroreinsatz der Bundeswehr
Von Constanze Stelzenmüller
Paradox darf man es schon finden. Vor zwölf Monaten wäre die rot-grüne Koalition fast wegen der Abstimmung über den Antiterroreinsatz der Bundeswehr zerbrochen. Die Emotionen schlugen so gewaltig hoch, dass Gerhard Schröder die Vertrauensfrage stellen musste, um Mandat, Koalition und Regierung zu retten. Diese Woche nun hatten die Abgeordneten über die Verlängerung des Mandats zu entscheiden - doch die Öffentlichkeit schien ungerührt. Selbst im Parlament war vor der Abstimmung allenfalls verhaltenes Grollen zu registrieren. Alles dies, obwohl der Planet Wirklichkeit, auf dem die derzeit rund 1150 Soldaten ihrem Auftrag nachgehen (als Teil der US-geführten Operation Enduring Freedom in Afghanistan, am Horn von Afrika und in Kuwait), unterdessen um einiges unübersichtlicher, ja gefährlicher geworden ist.
Was ist hier los? Die Wahrheit lautet: Die Abstimmung hat alle Beteiligten in böse Verlegenheit gebracht. Das Resultat ist ein nervöses Beschweigekartell aus Regierung, Opposition und Bundeswehr.
Die Regierung: Sie verfügt rechnerisch über eine Bundestagsmehrheit von neun Abgeordneten; die Zahl der Zweifler, Unzufriedenen und schlicht Genervten aber gilt als durchaus höher. Der Tagesbefehl heißt daher eiserne Fraktionsdisziplin. Die Einpeitscher können dabei auf gute Argumente verweisen. Ein Mandat, das nur mit den Stimmen der Gegner zustande käme, wäre ein Schlag für die Glaubwürdigkeit der rot-grünen Koalition. Vor dem Hintergrund der eifrigen Bemühungen in Berlin, das Verhältnis zu Washington zu "entgiften", haben die deutschen Auslandseinsätze zudem den Charakter eines Tauschgeschäfts bekommen. Die Verlängerung sämtlicher anstehender Mandate (von Enduring Freedom über die Mazedonien-Mission bis hin zu den Patrouillen der Isaf in Kabul) ist - das haben die Minister und Fraktionsspitzen den Hinterbänklern eingeschärft - der unabdingbare Preis für das Nein zur Beteiligung an einem Krieg gegen den Irak. Was zu Zeiten des Golfkrieges die Scheckbuch-Diplomatie war, wird so durch die Truppenentsende-Diplomatie abgelöst. Auch das ist eine Spätfolge des "deutschen Weges".
Die Opposition: Sie befindet sich ebenfalls in der Zwickmühle. Wolfgang Schäubles Vorpreschen nach Schröders Wahlkampfauftritt - natürlich muss Deutschland neben Amerika reiten, wenn es gegen Saddam geht - passte vielen Abgeordneten von CDU und CSU nicht. Andererseits stecken die deutschen Konservativen im selben Dilemma wie die amerikanischen Demokraten: Ein Votum gegen militärische Antiterroreinsätze wäre eine einfache Fahrkarte ins politische Abseits. Also Mitmachen. Zähneknirschend.
Die Bundeswehr: Im Prinzip geht nichts mehr. Weltweit sind derzeit knapp 8700 Soldaten im Einsatz, zu Hause muss die Bundeswehr-Reform überarbeitet werden, zu allem Überfluss droht auch noch eine erneute Haushaltskürzung. Nur hat inzwischen auch der letzte Gefreite begriffen, dass die Auslandseinsätze der heimliche Bohrkopf der Reformer gegen die Granitfront der Beharrer und Verhinderer sind - und dass Fotos von Soldaten, die Schulen reparieren, die Herzen von Bürgern und Haushältern erweichen. Da heißt die Devise wider besseres Wissen: Wir können immer.
Das Beschweigekartell von Berlin
Unter diesen Umständen ist es kaum verwunderlich, dass die Debatte über die Mandatsverlängerung für den Antiterroreinsatz so kleinlaut verlief. Aber es gibt auch künftig viel zu besprechen. Noch ist offen, ob und wann Amerika gegen den Irak in den Krieg ziehen wird. Unübersehbar ist dagegen der gewaltige Truppenaufmarsch, der schon jetzt am Persischen Golf stattfindet (siehe Karte). Das allein wird das politische Klima verschärfen, in dem die Bundeswehr sich bewegt.
Die ABC-Spürpanzer in Kuwait: Die sechs Füchse mit einem Skelettstab von 50 Mann (einst waren es 250; das Mandat gestattet bis zu 800) bleiben im kleinen Nachbarland des Irak. So hat es der Verteidigungsminister verfügt, und zwar auch für den Fall eines Krieges. Überdies, sagt Peter Struck, könnten die Panzer kuwaitische und US-Einrichtungen schützen. Bisher war dies eine Geste eher symbolischer Solidarität. Doch das Versprechen könnte bald eingelöst werden, etwa wenn sich die jüngsten Warnungen des BND-Chefs August Hanning vor einem Wiedererstarken der al-Qaida in der gesamten Region bewahrheiten sollten. Oder wenn Amerika den Irak angriffe. Angenommen, Saddam setzte erneut Bio- oder Chemiewaffen gegen seine eigene Bevölkerung ein, wie schon 1988 in Halabdscha. Könnte Deutschland da ernsthaft Nothilfe verweigern? Wohl kaum.
Die KSK in Afghanistan: Die rund 100 deutschen Soldaten der Spezial-Kampftruppen, die im Rahmen des Antiterroreinsatzes in Afghanistan zum ersten Mal im Einsatz sind, bekommen ein eigenes Einsatzgebiet "angrenzend" an Kabul. In der Bundeswehr wird abgewiegelt. Das heiße bloß, dass man nicht mehr Helfer der Amerikaner spiele. Der bessere Schutz der von Enduring Freedom bisher rechtlich und politisch strikt getrennten Hauptstadtschutztruppe Isaf (deren Führung Deutschland zu Beginn des Jahres mit den Niederlanden übernehmen soll) spiele dabei "allenfalls tertiär" eine Rolle.
Mag sein. Immerhin wird die Einheit in Kabul dann um 600 bis 800 Soldaten aufgestockt. Trotzdem wird die Isaf III jeden zusätzlichen Späher, Horcher und Greifer brauchen. Die Warlords in den Provinzen ringsum sind unruhig, ihre Kriegskassen prall gefüllt nach einer Rekord-Opiumernte. Taliban und al-Qaida sammeln sich wieder in den pakistanischen Grenzgebieten, in Pakistan sind seit den Wahlen die Islamisten im Aufwind, die Stützpunkte der Antiterrortruppen in Afghanistan selbst werden regelmäßig beschossen. Sogar Amerikas oberster General Myers gibt zu: We've lost momentum.
Doch, ob Amerika nun wieder mehr Druck macht oder sich lieber anderen Varianten des Bösen zuwendet: Die KSK-Truppen werden so oder so alle Hände voll zu tun haben. Was sie tun und wie groß die Risiken für sie und andere deutsche Soldaten sind, könnte die Abgeordneten des Bundestages künftig ruhig mehr interessieren.
Die Marine am Horn von Afrika: Zwei Fregatten und drei Aufklärungsflugzeuge mit einer Truppe von insgesamt 800 Mann (das Mandat erlaubt bis zu 1800) überwachen derzeit von Dschibuti aus das Seegebiet von der Meerenge Bab-el-Mandeb bis zum Ausgang des Golfs von Aden. Knapp 4000 Schiffe und Boote wurden überprüft, ein paar beschattet, einige auch durchsucht - den strengeren deutschen Einsatzregeln gemäß aber nur mit Einverständnis des Kapitäns. Das Ergebnis: Eine mit teutonischer Gründlichkeit aufgebaute Rasterfahndungsdatenbank für die Seeschifffahrt in der Region und großes Lob von der 5. US-Flotte in Bahrain, die den Marineeinsatz befehligt. Auch dass die Deutschen gelegentlich Geleitschutz machen für militärische Schiffe, leuchtet nach dem Terroranschlag auf den französischen Tanker Limburg vor der jemenitischen Küste im Oktober ein. Trotzdem hielt sich die Gefahr sehr in Grenzen.
Für die Marine wird's ungemütlich
Dabei wird es nicht bleiben. In Dschibuti treffen dieser Tage 400 US-Spezialkräfte und Marines ein, 800 weitere folgen; ein Teil wird auf dem Landeschiff Mount Whitney vor der Küste untergebracht. Für die Deutschen, die in Dschibuti ihr Quartier gemacht haben, und dabei sehr bedacht waren, mit Autoritäten und Bevölkerung auf gutem Fuß zu leben, könnte es deutlich ungemütlicher werden, wenn die Amerikaner demnächst in der Umgegend beginnen sollten, vermutete Al-Qaida-Nester auszuheben.
Wie aber, wenn die Regierung Bush ihre Drohung wahr macht und tatsächlich gegen Saddam Hussein zieht? Eine der wichtigsten Routen für Schiffe und schweres Gerät führt durch den Sueskanal - und die von den Deutschen mitbewachte Meerenge. Patrick Garrett aus der unabhängigen US-Militär-Denkfabrik GlobalSecurity schätzt: 30 oder mehr US-Kriegsschiffe, Flugzeugträger darunter, werden dann innerhalb von Tagen in den Golf von Aden ziehen. Spätestens zu dieser Zeit dürfte dieses Seegebiet ziemlich gefährlich werden.
Die deutsche Regierung, die auf dem Standpunkt beharrt, ein Feldzug gegen Saddam sei mit oder ohne UN-Mandat ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg, hätte dann ein Problem. Geleitschutz für Schiffe auf dem Weg zum Schlachtfeld fällt wohl kaum unter das Antiterrormandat. Aber was tun? Nach Hause fahren? Sicher nicht. Also im Hafen bleiben, die Schotten dicht machen? Damit kann man sich in Bundeswehr- und Abgeordnetenkreisen schon eher anfreunden, ist ja rechtlich irgendwie sicherer. Wie aber, wenn die US-Flotte vor Kriegsbeginn durchzieht? Da herrscht in Berlin allseits Ratlosigkeit. Es wäre nützlich, diese Fragen zu klären, bevor man in der Bredouille sitzt.
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