
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung September 15, 2002
Mit Robotern gegen Bagdad
Amerika setzt die Erfahrungen aus dem Krieg in Afghanistan um, technisch und taktisch. Es bereitet Kampfdrohnen für den Einsatz im Irak vor.
Von Gero Von Randow
Flugroboter sind die logische Fortsetzung der modernen Fliegerei. Der Eurofighter beispielsweise kann nur mit Rechnerhilfe fliegen. Um seine Wendigkeit zu steigern, wurde die aerodynamische Stabilität geopfert; ein Computer muß ihn in Fluglage halten. Der Tarnkappenbomber F 117 hat dieses Problem zwar nicht, läßt sich aber komplett per Rechner fliegen, Start und Landung inklusive. Warum also nicht gleich den Piloten weglassen? Das schwere Cockpit entfällt, die Maschine läßt sich besser vor dem Feindradar verstecken, es muß keine Besatzung geschützt werden, und wenn der Flieger verlorengeht, entsteht nur Sachschaden. Damit werden Aufklärungsflüge möglich, die für Piloten zu riskant sind.
Das ist nicht bloß eine Idee, sondern herrschende Lehre im amerikanischen Verteidigungsministerium. Mit ihr ziehen die Militärs die Lehren aus den Kriegen der jüngsten Vergangenheit. In Somalia haben sie erstens erfahren müssen, daß im Zeitalter der elektronischen Medien jeder eigene Tote ein Gesicht hat, das die ganze Nation auf den Bildschirmen sieht. Und im jüngsten Golfkrieg, in Jugoslawien und Afghanistan bestätigte sich zweitens, daß heutzutage die Grundregel gilt: Wer besser informiert ist, gewinnt. Dabei konnten die Schauplätze unterschiedlicher nicht sein. Während Afghanistan eher eine geographische Bezeichnung ist, wie der amerikanische Militärexperte John Pike schreibt, handelt es sich beim Irak um einen Staat mit regulärer, mechanisierter Armee. Doch in beiden Fällen - wie auch in Jugoslawien - war die lesson learned die gleiche: Wissen siegt.
Ungefährdet Wissen sammeln, das ist der Job der unbemannten Flugkörper ("Drohnen"). Sie klären bis weit hinter die feindlichen Stellungen auf, präzise und in Echtzeit. Nicht immer hat das in Afghanistan geklappt, aber die Erfahrungen werden in Verbesserungen umgesetzt - für den Einsatz über Bagdad. So war es immer: Jeder Krieg bereitet den nächsten vor.
Wenn Drohnen aufklären können, dann können sie auch kämpfen. In Afghanistan verschoß die propellergetriebene Drohne "Predator" Panzerabwehrraketen. Für den Einsatz gegen Saddam gibt es ähnliche Pläne: Drohnen mit Bomben, die Bunker brechen, oder mit Mikrowellenwaffen, die elektronische Einrichtungen verbunkerter Stellungen zerbraten. Womöglich soll im Irak sogar ein Prototyp der kommenden Kampfdrohnen-Generation erprobt werden: Boeings X-45A (siehe Foto), mit zehn Meter Spannweite ein rechter Kampfflieger. Er kann zwei 450-Kilo-Ladungen der mit Trägheitslenksystem und GPS-Empfänger aufgerüsteten Präzisionsbomben (JDAM) mit sich führen, die aufgrund des nahenden Massenbedarfs rund um die Uhr im Boeing-Werk in St. Louis montiert werden.
Boeing hat Konkurrenten. In diesen Tagen führt nicht nur X-45A Kunststücke in der Luft auf, sondern auch ein Prototyp, den der Hersteller Northrop Grumman präsentiert: die X-47A, ebenfalls eine Kampfdrohne (das "X" im Namen, den das Pentagon vergibt, bedeutet "experimentell"). Darauf, daß beide Typen technische Probleme bekommen, wartet ein Dritter: der Lockheed-Martin-Konzern, der in seiner Geheimfabrik "Skunk Works" an Kampfdrohnen arbeitet, die in Gruppen ausschwärmen. Auch Cruise Missiles finden ihre Route per Computer. Doch Drohnen sind wendiger, kleiner, können ihr Zerstörungswerk anschließend selbst begutachten, sind mehrfach verwendbar - und fallen nicht unter Rüstungskontrollverträge. Heftig wurde vergangene Woche im Pentagon allerdings darüber gestritten, ob Kampfautomaten wirklich so futuristisch wie X-47A konstruiert sein sollten oder doch lieber wie richtige Flugzeuge. Mit dem "white scarf syndrome" ist es gleichwohl vorbei: Luftwaffengeneräle lehnen die Flugroboter nicht mehr prinzipiell ab. Nur ihre Piloten lassen sich ungern zum Drohnendienst abkommandieren, denn dabei sammeln sie keine Flugstunden.
Im Aerospace Power Journal sprach ein Luftwaffenoffizier kürzlich ein ernsteres Problem an, das der Autonomie: Der Genfer Konvention folgend, müßten vollautonome Drohnen zwischen zivilen und militärischen Zielen unterscheiden und die Verhältnismäßigkeit der Mittel wahren. Dazu reicht aber alle künstliche Intelligenz nicht aus. Folglich müsse stets ein Mensch über den Waffeneinsatz entscheiden. Doch auch das ist Konsens in Washington.
Man sollte Amerika nicht die Frivolität unterstellen, den nächsten Krieg als Gelegenheit zum Experimentieren willkommen zu heißen. Ultima ratio ist er auch für George W. Bush, bei allem Streit darüber, was die UN-Diplomatie gegen Saddam noch ausrichten kann. Kommt es jedoch zum Krieg, dann wird auch wieder Neues erprobt.
Denn jeder Krieg bereitet den Krieg vor - der nächste also den übernächsten.
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Die bewaffnete Drohne X-45A von Boeing fliegt bereits. Vielleicht wird mit ihr im geplanten Feldzug gegen Saddam Hussein experimentiert.
Foto Boeing
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