
Financial Times Deutschland 29.8.2002
US-Militär steckt noch in der Planungsphase
Von Hubert Wetzel
Trotz der scharfen Kriegsrhetorik von US-Politikern gibt es bisher kaum Anzeichen dafür, dass das Pentagon eine Streitmacht zum Schlag gegen den Irak aufbaut. Weder die amerikanischen Truppen am Persischen Golf noch das dort gelagerte Kriegsmaterial würden derzeit für eine größere Aktion ausreichen.
Klar ist nur, dass das für einen möglichen Krieg zuständige US-Zentralkommando (Centcom) in Florida Pläne ausarbeitet. Medienberichten zufolge werden oder wurden dabei verschiedene Szenarien angedacht, darunter eine Großinvasion mit rund 250.000 Mann und eine deutlich kleinere Blitzaktion gegen politische und militärische Zentren in Irak mit etwa 80.000 Bodensoldaten.
Nach allem, was bekannt ist, befinden sich im Moment aber höchstens 10.000 US-Soldaten in Kuwait. Von dort aus würde eine Bodeninvasion wahrscheinlich starten. Das sind einige Tausend Soldaten mehr als vor dem 11. September üblich war, für einen großen Krieg gegen Irak reichen sie jedoch bei weitem nicht.
Seit dem Golfkrieg 1991 unterhält das US-Militär in der Region zudem große Materiallager. Das derzeit dort stationierte Gerät umfasst die Panzer, Geschütze, Fahrzeuge und sonstige Ausrüstung für vier schwere Brigaden, etwa 20.000 Mann. Die Soldaten müssen nur eingeflogen werden und wären kampfbereit. Zudem verfügt das US-Heer über leichte Divisionen, die innerhalb weniger Tage an den Golf verlegt werden können. Der Abmarsch einer ganzen Division - rund 15.000 Mann - wäre aber kaum zu verheimlichen.
Transportschiffe gechartert
Aufmerksam registrierten Experten jüngst, dass die US-Marine rund ein Dutzend große Transportschiffe gechartert hat. Nach Pentagon-Angaben sollen sie weiteres Kriegsgerät, darunter Hubschrauber und Panzer, an den Golf bringen.
Als sichere Messlatte für den Stand der militärischen Vorbereitungen gilt bei Experten der Fahrplan der amerikanischen Flugzeugträger. Da höchstens einige wenige arabische Länder ihre Basen für US-Angriffsflüge öffnen dürften, müsste ein Großteil der Luftattacken von den Trägern aus geflogen werden. Nur schwere Langstreckenbomber können von den USA oder der Inselbasis Diego Garcia im Indischen Ozean aus ihre Ziele in Irak anfliegen.
Militärexperten gehen davon aus, dass die USA für einen Irak-Krieg drei bis fünf Flugzeugträger in der Region bräuchten. Im Moment kreuzt dort nur einer, die "George Washington". Ein zweiter, die "Abraham Lincoln", ist auf dem Weg an den Golf, vor einigen Tagen passierte sie Hongkong. Plangemäß müssten die beiden Träger im Dezember beziehungsweise Januar abgelöst werden. Die Termine lassen sich um etwa vier Wochen vorziehen. Fachleute halten folgendes Szenario für plausibel: Statt die "Washington" und die "Lincoln" nach Eintreffen der Ablösung abzuziehen, könnte das Pentagon sie im Persischen Golf belassen, zusätzlich zu den beiden Ersatzträgern.
400 Kampfflugzeuge
Dazustoßen könnte dann noch der Flugzeugträger "Kitty Hawk". Er ist in Japan stationiert und kann in wenigen Wochen einsatzbereit gemacht werden. "Die USA könnten so Ende des Jahres fünf Träger in der Region haben", sagt der Militärexperte John Pike. Insgesamt wären das rund 400 Kampfflugzeuge, hinzu kämen mehrere mit Marschflugkörpern bewaffnete Kampfschiffe, die zu jedem Trägerverband gehören.
Ebenso denkbar ist aber auch ein kleineres Szenario, das eine frühere Militäraktion ermöglicht: Das Pentagon verstärkt die "Washington" und die "Lincoln" durch die "Kitty Hawk" und schlägt mit nur drei Flugzeugträgern gegen Irak los.
Überlagert wird dieser militärische Zeitplan vom politischen Kalender. In den USA finden Anfang November Kongresswahlen statt. Davor wird die Regierung kaum in den Krieg ziehen wollen - auch wenn eine so genannte Oktober-Überraschung nicht ausgeschlossen ist.
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