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Süddeutsche Zeitung August 13, 2002

Der Kick im Cockpit; US-Kampfpiloten halten sich während ihrer Einsätze mit Amphetaminen wach

By Tobias Hürter

Wer mit Überschallgeschwindigkeit über Kriegsgebiet jagt und mit der Bewegung eines Fingers Hunderte Menschenleben auslöschen kann, der braucht wache Sinne. Dazu sind der US- Luftwaffe auch Mittel recht, die schon Autofahrer den Führerschein kosten würden: Die Piloten schlucken Amphetamine, um auf den acht bis zwölf Stunden langen Afghanistan-Einsätzen nicht am Steuerknüppel einzunicken: "Sie bekommen Dexedrin in Zehn-Milligramm-Dosen gegen Müdigkeit", bestätigte Air-Force-Sprecherin Betty Anne Mauger der Süddeutschen Zeitung. Solche Mengen verordnen Ärzte auch in schweren Fällen von Narkolepsie - einer Krankheit, bei der die Betroffenen im Stehen einschlafen. Müde Bomberpiloten seien ein größerer Risikofaktor als solche, die mit Psychopharmaka aufgeputscht sind, so die Logik der Air Force.

Der regelmäßige Kick im Cockpit kam kürzlich im Zusammenhang mit einem "Friendlyfire"-Zwischenfall ans Licht. Vor vier Monaten hatte Harry Schmidt, Pilot eines F-16-Jägers, die Übungen kanadischer Truppen für feindliches Abwehrfeuer gehalten. Mit einer Lenkbombe tötete der Major vier verbündete Soldaten und verletzte acht. Der unabhängige US-Militär experte John Pike wunderte sich über Schmidts "ungewöhnlich aggressives" Verhalten und mutmaßte, ob dabei Chemie im Spiel war. "Ich habe meinen Piloten nie gefragt, ob er unter Medikamenten stand", sagte der Anwalt des Majors der Zeitung Toronto Star, "aber das ist übliche Praxis."

Ein internes Dokument der US Navy mit dem Titel "Leistungserhaltung während andauernder Flugoperationen" beschreibt dies detailliert. "Wir gehen mit Treibstoff und Waffen um; wir können auch mit Übermüdung umgehen", heißt es darin. Zwei Drittel der Flieger im Golfkrieg nahmen demzufolge Amphetamine. Gerade jene Kampfpiloten, die besonders kräftig zur Pille griffen, waren damals am erfolgreichsten.

So absolvierten die Piloten des kleinsten F-15- Geschwaders die meisten Flugstunden, schossen die meisten irakischen MiGs ab - und warfen etwa alle zwei Stunden eine "Go-Pille" mit fünf Milligramm Dexedrin ein. Für gute Bettruhe nach der Landung sorgte dann die "No-go-Pille" mit einem starken Schlafmittel.

Dass Amphetamine munter machen, können Techno-Tänzer bestätigen. Doch Drogenmediziner warnen, dass ihre Wirkung allzu leicht umschlägt: "Amphetamine machen furchtlose Kämpfer", sagt der Psychologe Thomas Elbert von der Universität Konstanz, "aber sie wirken realitätsverzerrend und können sogar Halluzinationen auslösen." Somit könnten die Drogen durchaus "zu Handlungen führen, die nicht beabsichtigt sind".

Als Kriegsdroge haben Amphetamine schon eine lange Karriere. Im Zweiten Weltkrieg stärkten sich Wehrmachtsflieger mit amphetaminhaltiger Schokolade, und auch britische und japanische Soldaten hielten sich mit "kleinen Helfern" wach. "Heute gehören stimulierende Mittel zur Notfallversorgung jeder großen Armee", sagt der Drogenmediziner Elbert. Doch die deutsche Luftwaffe distanziert sich entschieden von einem systematischen Gebrauch: "Wachmacher werden bei uns grundsätzlich nicht eingesetzt", versichert Oberleutnant Philipp Braun vom Informationszentrum der Luftwaffe in Köln. "Wir sind der Ansicht, dass Medikamente im Cockpit nichts zu suchen haben."


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