
Spiegel March 8, 2002
Wie die USA Saddams Sturz planen
Von Severin Weiland
Das Regime von Saddam Hussein ist im Visier der US-Regierung, sein Sturz scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Militärisch ist das für die US-Armee kein Problem, doch mit einem Krieg droht die Spaltung des Irak und die Destabilisierung der ganzen Region.
Berlin - Für Menschen, die gerne zwischen den Zeilen lesen, war der Beitrag des britischen Premiers Tony Blair im "Daily Express" vom Donnerstag aufschlussreich. Saddam, schrieb er, dürfe die "Entschlossenheit nicht unterschätzen, mit der die internationale Gemeinschaft die Entwicklung und den Einsatz von Massenvernichtungswaffen durch den Irak verhindern werde". Doch wie reagieren? Blair gab eine mehrdeutige Antwort. Dies sei "Teil der Diskussion". Diese wird wohl noch einige Monate dauern. Im Mai entscheidet die Uno über die Verlängerung des 1990 verhängten Handelsembargos gegen den Irak. Im selben Monat reist Bush auch nach Deutschland und nach Russland. Mindestens bis dahin wird die US-Regierung wohl testen, wie weit das Saddam-Regime zu Konzessionen und die öffentliche Meinung in den USA und bei den Alliierten zu einem Angriffskrieg bereit ist.
Die mediale Vorbereitung auf den Krieg
So vergeht kaum ein Tag, an dem US-Medien nicht anonyme Quellen aus dem Pentagon, der CIA und dem Weißen Haus zitieren, wonach bereits kräftig am Sturz des Diktators gearbeitet wird. Doch ist in diesen Wochen, wie stets bei Kriegsvorbereitungen, zwischen Propaganda und Wahrheit schwer zu unterscheiden.
Da berichtete etwa die Zeitung "USA Today", Bush habe bereits Anfang Februar der CIA den Befehl gegeben, mit einer verdeckten Aktion Hussein zu beseitigen. Zwar wurde der Plan weder von der CIA noch vom Weißen Haus bestätigt. Doch dass der Geheimdienst eine Rolle im Szenario zum Sturz Husseins spielt, steht außer Frage. Schließlich hat die CIA im Irak einiges wieder gutzumachen.
Zuletzt ging im Jahr 1996 der Versuch daneben, den Diktator durch einen Coup zu stürzen. Stattdessen marschierten Husseins Truppen für kurze Zeit in die kurdische Enklave im Nordirak ein, töteten mehr als hundert Iraker und schlugen CIA-Ausbilder in die Flucht.
Lokale Gruppen als Helfer
Nun soll der Krieg in Afghanistan Vorbild für den angestrebten "Regimewechsel" (Powell) im Irak sein: Lokale Gruppen initiieren einen Aufstand, die US-Luftwaffe unterstützt ihn, Spezialeinheiten greifen mit hochmodernen Waffen ein. Möglicherweise aber gibt es auch einen Mix, bei dem am Ende US-Truppen in größerer Zahl einmarschieren.
Welche Methode Erfolg versprechender ist, darüber herrscht in der US-Administration offenbar nach wie vor Uneinigkeit. CIA-Direktor George Tenet soll nach US-Berichten einer militärischen Lösung skeptisch gegenüberstehen - er befürwortet einen Aufstand im inneren Machtzirkel um Hussein.
Für einen Volksaufstand hingegen ist die Zeit wohl noch nicht reif, auch wenn Ahmed Chalabi, Präsident des Irakischen Nationalkongresses (INC), bei seinem Besuch in Berlin am Donnerstag das Gegenteil behauptete. "Es kann losgehen, sobald die USA dies wollen", meinte der Möchtegern-Regierungschef. Die Mehrzahl der Fachleute in den USA bleibt dagegen skeptisch. "Die Bedingungen innerhalb des Irak und in der ihn umgebenden Region sind alles andere als optimal", resümierte die "Washington Post" die Meinung der Experten.
Mit einem Aufstand droht die Spaltung des Landes
Ein Blick auf die irakische Opposition zeigt, dass die US-Regierung keineswegs mit einem so schnellen Erfolg rechnen kann wie beim Sturm der Nordallianz gegen die Taliban. Denn die Kurden pochen auf ihre künftige Autonomie in einem neuen Irak - zum Ärger des US-Nato-Partners Türkei, der über eine starke kurdische Minderheit verfügt und ein erneutes Aufflammen des Bürgerkriegs in Türkisch-Kurdistan befürchten muss.
Die Herrscher-Clique in Saudi-Arabien wiederum will unbedingt die Entstehung eines zweiten schiitischen Staates neben dem Iran verhindern. Eine solche Abspaltung wäre aber durchaus wahrscheinlich, sobald die US-Armee losschlägt, um Saddam die Macht zu entreißen. Denn allein die schiitischen Kämpfer des Obersten Rates für die islamische Revolution im Irak (Sciri) im Südirak sind ernst zu nehmende Gegner des Regimes in Bagdad.
Die Organisation, die ihren Exilsitz in London hat, wird vom Iran unterstützt. Folglich droht mit einem Angriff auf Saddam womöglich nur eine Vereinheitlichung der "Achse des Bösen", die Bush doch eigentlich schleifen will.
Also ist es fraglich, ob die Bush-Regierung im Irak einen Aufstand anzetteln kann, ohne eine Spaltung des Landes und die Destabilisierung der ganzen Region zu riskieren.
Ohnehin ist das Vertrauen der irakischen Saddam-Gegner in den Verbündeten mit dem Sternenbanner eher gering. Unter ihren Führern ist das Jahr 1991 noch in wacher Erinnerung. Damals ermunterte der US-Präsident George Bush Senior die Schiiten zur Rebellion - und sah tatenlos zu, wie anschließend Husseins Revolutionsgarden ein Massaker veranstalteten. "Wir haben sie im Stich gelassen", sagt Tim Brown, ein Militärexperte der unabhängigen US-Organisation Globalsecurity. Die Menschen würden sich möglicherweise auch heute wieder fragen, "ob sie sich auf uns verlassen können".
Die Anzeichen mehren sich allerdings, dass Bush Junior verlorenes Vertrauen zurückerobert. Irakische Exiloffiziere versammeln sich im März in den USA, ein Ereignis, das auch von INC-Vertretern als positiv bewertet wird.
So werden sich die Vorbereitungen für einen US-Militärschlag vermutlich bald konkretisieren. Mitte März reist US-Vizepräsident Dick Cheney, der viele Herrscher noch aus seiner Zeit als Verteidigungsminister 1991 kennt, in elf Staaten der Region. Darunter vier, die an den Irak angrenzen.
Anonyme Quellen aus der US-Administration zitiert die US-Presse mit dem Hinweis, Cheney reise niemals ohne konkrete Pläne in der Tasche. Welcher Art sie sind, darüber gehen die Einschätzungen weit auseinander. Analysten sprechen von Finanz- und Militärhilfen, die ähnlich wie 1990 ein arabisches Bündnis zusammenschweißen sollen.
Der erste Schlag wird dann vermutlich wie zuletzt 1990/91 aus der Luft erfolgen. Doch wann? Dies ist nicht zuletzt auch eine Frage des Munitionsvorrats, insbesondere der hocheffektiven "Joint Direct Attack Munition" (JDAM). Bei diesem System werden einfache, ungelenkte Bomben mittels eines satellitengesteuerten GPS-Systems aufgerüstet - und können so zielgenau eingesetzt werden. JDAM wird aber angesichts des Afghanistan-Krieges langsam knapp. Sechs Monate benötige der Rüstungskonzern Boeing, um genügend Nachschub für einen Luftschlag gegen den Irak bereitzustellen, schreibt die "Washington Post".
Bewahrheitet sich diese Prognose, blieben Saddam also noch mehrere Monate Zeit, sich auf den Krieg vorzubreiten. Gleichwohl dürfte die Widerstandsfähigkeit seiner Armee gering sein. Im Golfkrieg benötigten die Alliierten 39 Tage, um Husseins Luftabwehr weitestgehend lahm zu legen. Diesmal könnte es in noch kürzerer Frist gelingen, meinen US-Experten, zumal die Amerikaner und Briten mit ihren wiederholten Angriffen in den letzten Jahren Radar- und Raketenstellungen weiter dezimierten.
Michael O'Hanlon, Militärexperte an der renommierten Brookings Institution in Washington, warnt jedoch vor Übermut. 86 Maschinen wurden im Luftkrieg 1990/91 durch den Irak abgeschossen, die meisten durch russische oder chinesische Versionen der leicht zu handhabenden Stinger-Luftabwehrraketen. Diesmal, glaubt O'Hanlon, hätten alliierte Flieger es wahrscheinlich noch schwerer, da die Luftabwehrstellungen zusammen mit den chemischen und biologischen Labors in unmittelbarer Nähe von Wohnsiedlungen und Moscheen versteckt seien.
Bombenangriffe aus größer Höhe, wie derzeit in Afghanistan, seien daher nur schwer möglich - es sei denn, man nehme den Tod Tausender Zivilisten hin.
200.000 US-Soldaten für den Bodenkrieg
In einer zweiten Phase müsste dann der Bodenangriff erfolgen. 200.000 Mann seien dafür notwendig, so die Ansicht von US-Analysten. Zum Vergleich: 1990/91 brachte die Koalition eine halbe Million zusammen. Iraks Armee ist seitdem geschwächt. Im Golfkrieg ergaben sich allein 80.000 Mann, weitere 100.000 desertierten.
Ihre Moral dürfte heute kaum besser sein. Wegen des Embargos konnte Bagdad keine neuen Flugzeuge und Panzer kaufen, ist also der US-Militärmaschinerie hoffnungslos unterlegen. Und die Revolutionsgarden Husseins sind vermutlich ähnlich zu bekämpfen wie die al-Qaida in Afghanistan: mit Spezialwaffen und Sonderkommandos. Der frühere Luftwaffengeneral Charles Boyd erwartet gleichwohl schwere Schlachten: Im Gegensatz zu 1990/91, als sie aus Kuweit vertrieben wurden, würden die Iraker im nächsten Krieg "auf eigenem Boden kämpfen".
Ungeklärt ist nach wie vor auch, welches Land als Aufmarschbasis dienen soll. Militärische Vorstöße von Saudi-Arabien aus - ob aus der Luft oder vom Boden - gelten derzeit als unwahrscheinlich. Das Herrscherhaus der Scheichs ist geschwächt, einen erneuten Aufmarsch im Land der Heiligtümer Mekka und Medina würden viele Muslime als Provokation begreifen. Die Proteste könnten schnell zum Anfang vom Ende des Hauses Saud wachsen - ein Risiko, das die Bush-Administration mit ihrem wichtigsten Öl-Lieferanten vermutlich nicht eingehen wird.
Die Bundeswehr hängt mit drin
Aber auch ohne die saudi-arabische Operationsbasis könnten die US-Truppen handeln, glaubt Eliot Cohen, Direktor für Strategische Studien an der Johns Hopkins Universität. Oman, Kuweit und Bahrein stellten bereits Luftbasen für den Kampf in Afghanistan, vom türkischen Stützpunkt Incirlik patrouillieren US-Flieger die Flugverbotszone im Norden. Also bieten sich die Türkei und vor allem Kuweit als Aufmarschgebiet an. So rechnen frühere Pentagonmitarbeiter denn auch mit einer Bodenoffensive im Süden des Irak.
Wohl keinesfalls zufällig probten kürzlich in Kuweit US-Truppen zusammen mit ABC-Einheiten der Bundeswehr und einheimischen Kräften - auch wenn die Bundesregierung hartnäckig dementiert, das Manöver stehe im Zusammenhang mit einem Irak-Krieg. In den USA nennen Experten hingegen die Dinge beim Namen. So hält es Ex-Luftwaffengeneral Boyd durchaus für möglich, dass Hussein in seiner Verzweifelung zum letzten Mittel greift: zum Einsatz biologischer und chemischer Waffen. Genau dafür aber werden ABC-Abwehreinheiten wie die der Bundeswehr benötigt. Die Tatsache, dass deren Spürpanzer nun auf unabsehbare Zeit in Kuweit stationiert bleiben, ist ein sicheres Indiz dafür, dass ihre Nutzung fest eingeplant ist.
Zwar meinte Kuweits Außenminister, Scheich Jaber-al-Hamad al-Sabah, kürzlich, sein Land werde "keine militärischen Operationen gegen irgendeinen anderen Staat ohne internationale Rückendeckung zulassen". Aber die Bemerkung ist nach Meinung von US-Analysten nicht als definitive Absage an Militäraktionen zu werten. Unter "internationaler Rückendeckung" sei schließlich vielerlei vorstellbar - nicht nur ein Beschluss des Uno-Sicherheitsrates.
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