
Focus Magazin February 4, 2002
Militaerische Kluft
Die Amerikaner ruesten ihre Soldaten mit High Tech aus, die Europaeer hinken hinterher; Vergleich des US-Verteidigungshaushalts mit Budgets von EU -Staaten
By Ottmar Berbalk; Peter Gruber; Christian Liebig
Irgendwo bei Kandahar wird der Spaehtrupp fuendig. Die sechs Maenner der US -Eliteeinheit Delta Force haben ein Versteck der Al-Qaida-Organisation entdeckt. Einer der Maenner visiert das Ziel mit einem Spezialfernglas an. Ein Laserstrahl misst die Entfernung zu dem Terroristen-Unterschlupf, ein Satelliten-Navigationssystem registriert die genauen Koordinaten. Ein Funker gibt sie an einen ueber Afghanistan kreisenden US-Kampfjet weiter. Der Pilot der F-18 fliegt das Ziel an, Sekunden spaeter detoniert die Bombe mit toedlicher Praezision. Von der Zielerfassung bis zum Angriff dauert die Aktion nur wenige Minuten. Anders sieht es aus, wenn deutsche Soldaten nach Afghanistan fliegen sollen. Eine Woche brauchte das Vorauskommando der Bundeswehr, um Kabul zu erreichen.
"Mit der Geschwindigkeit eines Gletschers" gehe die Modernisierung europaeischer Armeen voran, moniert Nato-Generalsekretaer George Robertson. Auf der Muenchner Konferenz fuer Sicherheitspolitik wurde dies am Wochenende von Militaers und Verteidigungsexperten eifrig diskutiert. Fuer US-Praesident George W. Bush stand schon vorher fest: "Der Konflikt in Afghanistan hat uns ueber die Zukunft unseres Militaers mehr gelehrt als ein Jahrzehnt voller Expertenrunden." Wie man mit modernen Mitteln einen Krieg fuehrt und dabei die Verluste minimiert, haben die Amerikaner in Afghanistan den Europaeern vorgefuehrt.
Missionen, die im Golfkrieg 1991 Tage Vorbereitung gebraucht haben, die waehrend des Kosovo-Einsatzes Stunden gedauert haben, sind im Afghanistan -Feldzug innerhalb weniger Minuten abgelaufen. "Der Grundpfeiler unseres Erfolgs war ein perfektes Zusammenspiel von Satelliten-Aufklaerung, Eliteteams mit Ortungssystemen am Boden, massiven Luftstreitkraeften mit Praezisionsbomben", beschreibt John Pike von der amerikanischen Beratungsgruppe Global Security das Erfolgsrezept. Nichts davon koennen die Europaeer vorweisen. Auf ein Beispiel fuer den militaerischen Fortschritt verweist das amerikanische "Wall Street Journal": Waehrend des Zweiten Weltkriegs griffen 1944 US-Bomber 835-mal eine japanische Flugzeugfabrik an und konnten diese nur zu vier Prozent beschaedigen. "Heute waere sie mit einem einzigen Angriff zerstoert worden."
Kein Zufall. Die US-Regierung will das Wehrbudget in diesem Jahr um 48 Milliarden Dollar steigern. Allein diese Summe ist mehr als doppelt so hoch wie der gesamte Verteidigungshaushalt Deutschlands. Die Investitionen in High Tech lohnen sich. Immerhin gelang es den USA, (mit Hilfe der Nordallianz) ein gesamtes Land innerhalb von ein paar Wochen zu erobern. Dabei wurde nur ein einziger US-Soldat vom Gegner getoetet. Der Feind war machtlos. "Der Kaempfer mit der Kalaschnikow hat heute gegen den High-Tech-Krieger keine Chance, weil er schon vor dem Kampf aus grosser Entfernung ausgeschaltet wird", sagt der ehemalige Bundeswehrgeneral Klaus Reinhardt: "Es gibt keine Duell-Situation."
Diese asymmetrische Kriegsfuehrung ist fuer die Europaeer noch eine fremde Welt. Nur muehsam verabschieden sich die Militaers von den Verteidigungsdoktrinen der 80er-Jahre, als die Nato-Staaten sich auf gigantische Panzerschlachten mit dem Warschauer Pakt einstellten. Die Konsequenz: Der europaeische Soldat ist in Konflikten wie in Afghanistan weniger gut geschuetzt als sein amerikanischer Kamerad. Nato-Generalsekretaer Robertson beschreibt dies in der FAZ so: "Hier High Tech und dort das Blut der Soldaten." Demokratien scheuen Konflikte, wenn sie mit eigenen Verlusten rechnen muessen. Doch nur die USA sind auf Grund ihrer Waffenueberlegenheit in der Lage, Kriege ohne zahlreiche eigene Opfer zu fuehren, sind sich Militaerexperten einig. Die westeuropaeischen Staaten haben mit Blick auf die Friedensdividende zu wenig investiert zum Schaden der eigenen Soldaten. Fuer Klaus Becher vom International Institute for Strategic Studies in London lautet die Konsequenz: "Selbstfesselung aus Angst vor Verlusten".
Als Selbstfesselung stellt sich auch das Beschaffungsdrama um den europaeischen Militaertransporter A400M heraus (S. 32). Selbst wenn alle haushaltsrechtlichen Probleme und der Streit unter den acht Vertragspartnern beendet sind vor 2008 wird die Maschine nicht starten. Bis dahin koennen die Europaeer keine schweren Frachten ohne fremde Hilfe in weit entfernte Gebiete transportieren.
Die Europaeer starren mit Spannung auf noch etwas, was Zukunftsmusik ist: die EU-Eingreiftruppe. Ab naechstem Jahr sollen 60 000 Soldaten als schnelle Streitkraefte fuer Friedensmissionen und spaeter fuer Kampfeinsaetze zur Verfuegung stehen. Doch schon im Vorfeld blamiert sich die EU gehoerig. Zwar haben die Staats- und Regierungschefs auf dem letzten Europa-Gipfel formell die Einsatzfaehigkeit ihrer neuen Truppe beschlossen: "Die Union ist nunmehr zu Krisenbewaeltigungseinsaetzen in der Lage", heisst es vollmundig. Nato-Chef Robertson haelt das aber fuer unrealistisch: "Die EU-Eingreiftruppe wird nicht in der Lage sein, eine Operation wie die im Kosovo 1999 eigenstaendig zu fuehren." Und ein deutscher EU-Diplomat ergaenzt: "An so etwas wie Afghanistan ist noch lange nicht zu denken."
HIGH-TECH-SCHMIEDE USA
SCHNELL ALARMIERT Innerhalb von Minuten erreichten im Afghanistan-Krieg F-18 -Kampfjets ihre Ziele
GENAUE TREFFER Mit Praezisionsbomben (wie hier im Golfkrieg) vernichteten die USA Al-Qaida-Verstecke
BODENKONTAKT Ein US-Elitesoldat beim Einsatz in Afghanistan
USA 350,8 Mrd.
Grossbritannien 38,8 Mrd.
Frankreich 37,3 Mrd.
Deutschland 23,9 Mrd.
GRAPHIC: Fotos;
VOM FEIND GETOETET Kuerzere Kriege und ueberlegene Technik vermindern die Zahl der US-Opfer.;
ELITENFOERDERUNG SPECIAL FORCES Keine andere Nation hat so viele Spezialkraefte wie die USA;
KOMMANDOZENTRALE Von US-Flugzeugtraegern aus werden Bombenangriffe gesteuert;
MUEHSAME ANREISE Bundeswehrsoldaten besteigen eine Transportmaschine nach Afghanistan;
NACHZUEGLER EUROPA ZUM WARTEN VERDAMMT Ein Bundeswehrsoldat mit Minenspuerhund wartet in der Tuerkei auf den Weiterflug
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